Sorgen entsorgen

Was genau passiert ist, weiß ich nicht. Ich habe nur den kleinen Zettel gefunden, eher ein Schnipsel. Auf der einen Seite ein Mini-Strichmännchen, ihm gegenüber zwei weitere. Die zwei haben ihre Arme ausgestreckt, zeigen auf den Einen. In der Mitte mit ganz kleinen Buchstaben, so dass es etwas länger gedauert hat, bis ich es entziffert hatte: „HaHa“.

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Der Große hat sich mit seinen Freunden gestritten. Er hat auch ausgeteilt, gezankt, aber letztendlich standen zwei Meinungen gegen seine. Seine beiden besten Freunde, die ihn aufgezogen und geärgert haben. Es tat ihm so weh. Er hat die Tränen schnell weggewischt, doch ich konnte es sehen. Darüber sprechen wollte er nicht. Konnte er vielleicht auch in diesem Moment gar nicht. Wie soll man das auch beschreiben? Fühlt man gerade Wut, ist das Angst, Verletztheit, hat man gerade jemanden verloren, den man mag? Was ist das, was da manchmal im Bauch oder im Herz so weh tut, dass es einem die Kehle zusammenschnürt?

Im Kindergarten war das bisher noch leichter. „Du bist nicht mehr mein Freund“, hieß es dann. Und am nächsten Morgen war alles wieder vergessen. Jetzt langsam, in der Schule, wird es ernster. Verletzendes wird verstanden, auch gezielter ausgeteilt. Die Frage nach dem Warum kommt auf. Wieso machen Freunde da mit, wenden sich gegen mich?

Ich würde ihm so gern diese Sorgen abnehmen, alles klären. Aber ich weiß, dass er es selber machen muss. Lernen muss, mit Verletzungen umzugehen (und um es direkt klarzustellen: ich spreche jetzt hier von alltäglichen Zwistigkeiten, nicht Mobbing oder schwerwiegenden Eskalationen). Ich kann nur Rat gebend, Trost spendend zur Seite stehen, wenn er es möchte.

Für solche Fälle, kleinere und größere Sorgen, die einem im Alltag begegnen, haben wir ihm im vergangenen Jahr zur Einschulung ein „Sorgenfresserchen“ in die Schultüte gepackt. Das kleine gestreifte Plüsch-Etwas hängt seitdem an seinem Bett. Und wenn ihn die schimpfende Mama nervt, er zu Unrecht verdächtigt wurde, etwas gemacht zu haben, oder eben sich mit seinen Freunden gestritten hat und es nicht in Worte fassen kann, dann malt er, was ihn bedrückt. Dann bekommt der Sorgenfresser den Zettel ins Maul gestopft. Und am nächsten Morgen ist der Zettel weg. Dann geht es ihm viel besser und im Idealfall ist ihm eingefallen, wie er dem Problem auf den Grund gehen kann. Und er kann es dann ansprechen.

Manchmal wünsche ich mir auch so einen Sorgenentsorger. Wenn ich nachts wachliege, weil mir ein scheinbar unlösbares Ärgernis, eine schwierige Aufgabe den Schlaf raubt. Für plötzlich auftauchende Ideen habe ich meist einen Block auf meinem Nachttisch liegen. Aufschreiben, damit man sie nicht vergisst und trotzdem wieder einschlafen kann. Vielleicht sollte ich mir auch ein kleines, buntes Säckchen daneben hängen, in dass ich dann die blöden Gefühle, ängstigenden Gedanken und sonstige Grübeleien stecken kann. Vielleicht würde das vielen von uns die Nächte und eben auch den Alltag leichter machen.

Der Sohn hat es übrigens am nächsten Morgen mit den Freunden geklärt. Festgestellt, dass sie auch verletzt waren. Dann haben sie wieder zusammen Fußball gespielt. Als er nachmittags in seinen Sorgenfresser schaute, rief er mich zu sich: „Mama, der Zettel ist weg.“ „Dann hat ihn wohl der Sorgenfresser aufgefressen“, hab ich geantwortet. Mein Großer grinste, zwinkerte mir zu und sagte: „Ja, dann hat DER den wohl aufgefressen.“

P.S. Das ist kein gesponsorter Beitrag, sondern es geht schlicht und allein um die Art, seine Sorgen zu teilen oder bestenfalls sogar los zu werden. Es gibt verschiedenste Formen von „Sorgenentsorgern“, man kann sie kaufen, selber nähen oder die Sorgen einfach in einen schönen Sack stecken. Hauptsache, es hilft.

Ich stehe fest hinter euch

Als meine 14-jährige Nichte mich fragte, ob ich ihre Firmpatin werden könnte, habe ich nicht lange gezögert. Klar doch, gerne. Und so stand ich nun vorne in der Kirche hinter ihr, legte ihr – während sie vom Bischof den Segen erhielt – die Hand auf die Schulter.

Einer jungen Frau, die die Welt neugierig entdecken will, die wissen will, was früher war, um sich dann der Zukunft zuzuwenden, die Pläne schmiedet, etwas von der Welt sehen will. Wann ist eigentlich aus dem kleinen Mädchen, dass sich anfangs nicht von mir babysitten lassen wollte, weil es vor Menschen mit dunklen Haaren Angst hatte, das als Zweijährige in einer unbeobachteten Sekunde wagemutig auf den höchsten Turm im Kletterparadies gekrabbelt ist und mir arges Herzklopfen bereitet hat, das mit meinen Jungs im Schwimmbad immer um die Wette rutscht, wann ist aus ihr auch diese junge Frau geworden?

Und dann sehe ich neben mir meinen „Großen“ sitzen, der doch eigentlich noch klein ist. Gebannt und ganz ruhig folgt er, der so viel Bewegung braucht und gerne laut und wild ist, der Messe. In wenigen Wochen hat er das erste Schuljahr hinter sich und in diesem einen Jahr auch einen enormen Sprung gemacht: Lesen, Schreiben und Rechnen (das ist ja Pipi-einfach) gelernt, ja. Aber er ist auch ein richtiges Schulkind geworden. Er ist so selbstständig, kommt nach der Schule nach Hause nur um kurz darauf wieder mit seinen Freunden zu verschwinden. „Ich bin doch kein Baby mehr“, ist sein derzeit meistgebrauchter Satz, denn ja – er kann vieles allein und das ist sehr gut und schön so. Und dennoch, wenn er dann bei seinem Freund mal übernachtet hat, dann braucht er am Tag drauf eine doppelte Kuscheleinheit.

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Dann schaue ich auf meinen „Kleinen“. Der eigentlich gar nicht mehr so klein ist. Im Kindergarten ist er jetzt ein „Mittelkind“, er weiß, wo es lang geht. Und er weiß, was er will und wie er es am ehesten bekommt. Er bringt die trockensten Sprüche und ist doch gerade mittendrin in diesem „magischen Alter“, denkt sich wunderbare Geschichten und Figuren aus, kann an keiner Pusteblume vorbeigehen, ohne nicht die kleinen Fallschirme in die Luft zu pusten. Ohne Gute-Nacht-Kuss kann er auf keinen Fall einschlafen, weil er befürchtet, dass sonst auch die Mama nicht gut schlafen kann – „aber den Kuss bitte nur auf die Haare“.

Das ist Glück, denke ich oft, wenn ich auf meine beiden Jungs schaue. Natürlich gibt es Tage, da stellen sie alles auf den Kopf, bringen mich an meine Grenzen. Aber ich lerne auch so wahnsinnig viel von ihnen. Sie sind nicht nachtragend. Sorgen werden geteilt, und dann sind sie weg. Sie schauen genau hin, nehmen sich Zeit, wenn wir Erwachsene vorbeihasten würden. Und sie hinterfragen, was man sagt.

Es erfüllt mich mit großer Zufriedenheit, wenn die beiden, oder besser noch, wir zusammen eine schöne Zeit haben. Wenn sie klettern, lachen, tanzen, toben, sich gegenseitig auskitzeln und füreinander einstehen.

Dann wünsche ich ich mir oft, die Zeit anhalten zu können. Da das nicht geht, hoffe ich zumindest, dass dies Momente sind, die ihre Zukunft prägen. Dass sie glücklich und zufrieden mit sich und ihrem Leben sind. Das sie Träume und Ziele haben und danach streben, sie zu verwirklichen und darin ihr Glück zu finden. Dass sie auch vermeintliche Schwächen als etwas Positives erkennen, dass sie nicht Druck auf sich ausüben, ‚perfekt‘ oder wie die anderen sein zu müssen. Dass sie sich, so wie sie sind, akzeptieren und von anderen angenommen werden. In einer Gesellschaft, die ihnen möglichst so offen entgegentritt wie die Kinder ihr.

Genießt die schönen Momente, speichert sie tief in euch, tankt daraus Kraft für schwierige Tage, möchte ich ihnen zurufen. Bewahrt euren Blick auf das Besondere, Schöne, Lustige, das möchte ich meinen Kindern mitgeben auf ihrem Weg.

„Drücken Sie ruhig ein bisschen fest auf die Schulter der Firmlinge, sie sollen merken, dass Sie hinter ihnen stehen“, merkte der Bischof vor der Firmung noch an. Ja, ich stehe fest hinter meinen Kindern, als Mutter, als Patin. Ich bin für euch da, auch wenn ihr irgendwann eigene Wege geht. Das ist etwas, dass ich ihnen unbedingt mitgeben will.

Heute ist Weltkindertag. Anne von Top-Elternblogs hat in ihrer Blogparade danach gefragt, welche Zukunft wir unseren Kindern wünschen, was Glück ist und welchen Rat wir ihnen mitgeben würden. Dabei habe ich gerne mitgemacht.

Zwei Hände sind nicht genug

Zwei Kinder, das ist doch ideal. Ein Geschwisterchen zum Spielen, zum Knuddeln, dem man als großer Bruder zur Seite stehen kann. Ja, genauso hatten wir uns das vorgestellt. Für uns stand immer fest, wenn Kinder, dann möchten wir zwei.

Ich bin auch immer noch davon überzeugt, dass es für uns genau die richtige Entscheidung war und ist. Dass es beiden Jungen gut tut, einen Bruder zu haben. Es gibt oft genug Momente, in denen man genau spürt, wie wichtig sie füreinander sind. Wenn der Große dem Kleinen das ABC erklärt, wenn der Kleine als erstes dem Großen erzählen muss, dass er in der Kita ein Tor gemacht hat. Natürlich geraten sie sich auch in die Haare. Oft. Manchmal hat man das Gefühl, sie tun es ständig. Aber auch das gehört dazu. Und mittlerweile sind sie einander auch kräftemäßig recht ebenbürtig, dann greift man nicht oder erst spät ein.

Völlig unterschätzt haben wir aber, wie wir zwei Kinder unter einen Hut bringen. Zwei eigenständige Köpfe, um nicht zu sagen, durchaus zwei Dickköpfe, die wissen, was sie wollen. Oder eben, was auch nicht.

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In unserer meiner Vorstellung sah es immer so aus: Wochenende, ein Elternpaar macht mit seinen zwei entspannten Kindern einen wunderbaren Ausflug, viel Lachen, pure Harmonie, alle sind glücklich. Und außerdem galt für mich immer: ich hab zwei Hände, das passt doch mit zwei Kindern.

Gut, Alltag ist anders, ist schon klar. Das war ja auch nur das Traum-Ideal. Dennoch habe ich die Realität unterschätzt. Es sind Phasen, die vergehen. Das gilt für vieles in der Kinderentwicklung und beim zweiten wartet man vieles dementsprechend noch ab, während man beim ersten noch die Ursache suchte. Aber derzeit haben wir eine Phase, die uns die gemeinsamen Wochenende oft echt zur Qual macht.

Also, Ideal: Ich freue mich (immer wieder aufs Neue) auf das gemeinsame Frühstück, ein bisschen Spielen mit den Kindern, ein bisschen Spielen der Kinder miteinander, gemeinsame Erlebnisse.

Die Realität beim gemeinsamen Frühstück am Wochenende sieht dann so aus:

„Was machen wir heute, mir ist langweilig“, klagt der Große. „Ich will nicht raus. Ich will hier spielen“, beginnt der Kleine zu kreischen. „Fahrradtour.“ „Zuhause bleiben. „Raus.“ „Nein.“ „Doch.“ „Nein“…

Manege frei für zwei Kampfhähne. Der Große braucht Bewegung, am liebsten 12 Stunden täglich mit dem Ball. Der Kleine möchte nach der Kita-Woche einfach nur Ruhe, ungestört mit seinem Spielzeug spielen, vielleicht mal in den Garten. Zwischen ihnen liegen nicht nur 2,5 Jahre, sondern eben auch völlig unterschiedliche Bedürfnisse.

Deshalb sehen unsere Wochenenden derzeit dann gerne auch mal so aus: Papa geht mit dem Großen kicken, Mama spielt mit dem Kleinen ‚Tempo, kleine Schnecke‘. Oder Papa baut mit dem Kleinen ein Lego-Haus, während Mama mit dem Großen eine Radtour macht.

Es gibt Schlimmeres, klar. Aber es nervt. Und kostet auch enorm Kraft. Weil wir momentan oft das Gefühl haben, nicht mehr als Familie etwas machen zu können. Und wenn, nur mit größter Überzeugungskraft, viel gutem Zureden, lautem Geheule und Geschimpfe. Weil ich eben auch gern mal mit dem Mann und den Kindern etwas machen möchte.

Dazu kommt die Eifersucht des Großen, die er erst in den letzten Jahren stärker entwickelte. Die Angst zu kurz zu kommen, während ich eher das Gefühl habe, der Kleine steckt mehr zurück. Weil er es immer schon so kennt, dass da noch jemand ist. Und da ich nicht will, dass einer von beiden das Gefühl hat, zu kurz zu kommen, schaue ich, dass ich für beide immer auch Exklusivzeiten einrichte. Denn gegen besseren Wissens läuft in meinem inneren Kino doch immer wieder mal der eine Film: Und täglich grüßt das schlechte Gewissen.

Wer zu kurz kommt, ist dann das Elternpaar, das man ja auch noch ist. Und/oder man selbst.

Wenn die Kinder dann abends friedlich schlafen, dann träume ich: Von einem Urlaub am Meer zu Viert. In voller Harmonie. Mit ganz vielen gemeinsamen Familienerlebnissen. Ist ja noch ein bisschen Zeit bis zum Sommer. Denn das ist nur eine Phase. Das wird schon, oder? ODER?

Ménage-à-trois oder auch: Gratulation

Er lacht über die gleichen Sachen. Freche Bemerkungen kann er kontern. Er sieht gut aus. Er lächelt mit den Augen.

HALT!

Spätestens hier sollte man vorbereitet, frühzeitig von den Eltern aufgeklärt worden sein. Bevor sich die berühmten Schmetterlinge in den Innereien einnisten, sollte jeder – geben Sie das ihren Kindern mit – dem potenziellen Partner möglichst noch in der Stunde des Kennenlernens zwei Fragen stellen:

1. Bist du Fußballfan?

2. Wenn ja, welcher Verein?

Wird Frage 1 mit „Ja“ beantwortet, sollte man sich der Konsequenzen bewusst sein. Wochenenden sind zum größten Teil verplant. Entweder derjenige steht auf dem Platz, weil er spielt. Oder er schaut zu. Wenn die beste Freundin mit dem Tennispartner also fragt, ob man sich am Samstagnachmittag nicht zu Viert zum Grillen treffen möchte, wird man die nächsten Jahre/Jahrzente antworten: Gern, so ab 17.15 Uhr? Und möchte man mal tanzen gehen, zwickt bei aktiven Ballkünstlern ggf. der Meniskus oder irgendein Band.

Hat er auf Frage 2 eine Antwort parat, fiebert er seit ewigen Zeiten für einen speziellen Verein mit, ist besondere Vorsicht geboten. Man muss sich dann klar machen: Ich werde nie die einzige sein.

Der Verein ist die Liebe, die meist zuerst da war. Und schlimmstenfalls vielleicht auch länger bleibt als man selbst. Also entweder man arrangiert sich mit dieser Geliebten, die so ganz andere Vorzüge hat als man selbst. Oder man flüchtet nach Beantwortung der Fragen flux durch eine Hintertür.

Lässt man sich aber drauf ein, sollte man sich der vollen Tragweite der Entscheidung bewusst sein.
Beim Zusammenziehen ist die Möbelauswahl das geringste Problem. Vielmehr wird die Diskussion geführt, wie viel – in unserem Falle – rot-weiß in die Wohnung darf. Und in welche Ecken. Klare Abmachungen sind wichtig: Ein Schal und ein Mannschaftsposter im Arbeitszimmer, aber hinter meinem Rücken platziert! Niemals Bayern-Bettwäsche im gemeinsamen Bett!

Der Terminkalender wird vom Fußball bestimmt sein. Und damit meine ich nicht nur, oh ein Samstagabendspiel – gehen wir also Sonntag ins Kino. Die Liebe zum Verein, hier also zum FCB, greift tiefer ins Leben. Man muss durch schwere Zeiten, indem man den Mann zu einem Spiel gegen die Mannschaft, mit der man aufwuchs, begleitet, was eine sehr schmerzhafte Erfahrung sein kann.
Man muss anders planen und organisieren. Heiraten, gerne – aber in der Sommerpause. Kinderkriegen bitte entweder in der Winterpause (K1) oder wie bei K2 in der Nacht auf einen Montag. So ist Frau und Nachwuchs volle Aufmerksamkeit gewiss.

Was viele aber vorher nicht berücksichtigen: Vereinsliebe ist vererbbar. Von wegen mit der Muttermilch aufgesogen. Ganz subtil im Schlaf eingepflanzt. Schlaf, Kindchen, schlaf. Und ist die Mutter aus dem Raum: Stern des Südens. Oder solche Angebote wie: Ruh‘ dich etwas aus, ich nehme den Kleinen so lange. Am Samstagnachmittag. Auf Papas Bauch schlummern, während der FCB guckt. Sieben Jahre später wird man sehen, was man davon hat. Ein Kind, dass sein Taschengeld auf dem Flohmarkt nicht für Spielzeug, sondern für einen FCB-Turnbeutel ausgibt. Das bittere Tränen weint, wenn sein Neuer-Glas kaputt geht und untröstlich ist, wenn der Verein unentschieden spielt. Kinder, die im Garten nicht nur Fußball spielen, sondern auch Meisterschaftsfeier. Dabei hintereinander herlaufen, um sich Apfelschorle über den Kopf zu schütten.

Noch legt der Kleine mir hin und wieder die Ärmchen um den Hals und flüstert: Mama, Fortuna ist auch ganz toll. Aber spätestens in zwei Jahren will er garantiert auch ein rotes Trikot. Vom FCB.

Das Schlimmste aber ist: Nach einer gewissen Zahl an Jahren merkt man die Unterwanderung der eigenen Einstellung. Nenn mir schnell zwei Fußballer, die du toll findest/fandest, fragen die Kinder. Und man hört sich antworten: Lizarazu und Brazzo. Man ertappt sich vorm Kaufhaus mit einer FCB-Bettwäsche in der Tüte – fürs Kind. Und trinkt plötzlich lieber ein bayrisches anstelle eines Alt-Biers.

So ist das mit diesen speziellen Geliebten. Lässt man sich auf diese Ménage-à-trois ein, dann kann es passieren, dass man sich so an sie gewöhnt hat, dass man sie irgendwann ein klitzekleines-mini-bisschen mag. Was ich aber nie laut sagen würde.

So, jetzt muss ich mit den Kindern Konfetti basteln. Wir haben eine Meisterschaftsfeier vorzubereiten. In diesem Sinne:

25. Meisterschaft – herzlichen Glückwunsch, FCB!

Das lästige Handgepäck

Ich packe meinen Koffer. Und die Tasche der Kinder. Die wiederum packen ihre Rucksäcke.

Vier Tage Holland im April, Mama und die Jungs und die Teenie-Nichte. Ich komme mir vor, als würden wir drei Wochen verreisen. Warme Pullis. Shirts. Sportschuhe. Badesachen. Gummistiefel. Dicke Jacken. Dünne Jacken. Jede Menge Gepäck eben.

Und dann ist da noch mein Handgepäck. Der Feind jeden Urlaubs. Die Tasche mit den Erwartungen. Zum Beispiel ausgelassene Kinder gehören dazu. Die begeistert toben, spielen, den ganzen Tag draußen sind und abends erschöpft und total müde unter der Bettdecke verschwinden. Jede Menge Spaß ist dabei. Auf Trampolinen hüpfen, Fußball spielen, durch den Wald laufen, Füße in den kalten See tauchen. Vla essen. Viel Lachen, herumalbern. Die Vorstellung trotzalledem auch ein bisschen Zeit für mich zu haben, in meinem Buch weiterzulesen. Durchzuatmen, aufzutanken.
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Ganz unten im Handgepäck sind dann noch die Befürchtungen. Streitende Kinder (davon hatten wir an Ostern ausreichend Kostproben). Strapazierte Nerven. Schlechtes Wetter. Nicht durchgeschlafene Nächte in fremder Umgebung. Unausgeglichen oder gar ungerecht sein.

So, und jetzt soll das ganze Gepäck ins Auto. Ein bisschen Verpflegung natürlich auch noch. Und selbstredend die Nichte samt ihren sieben Sachen.

Ich glaube, das Handgepäck muss jetzt einfach dem Platzmangel weichen. Erwartungen und Befürchtungen einfach zurücklassen? Ich könnte es ja mal versuchen. Los fahren und gucken was kommt. Klingt eigentlich ganz gut. Ich kann nichts versprechen, aber ich versuche es.

Wir sind dann mal weg.

Kreatives Chaos

Ordnung ist das halbe Leben, heißt es. Gut. Wir leben in der anderen Hälfte.

Sollte ich für mich typische Eigenschaften nennen, „ordentlich“ oder „ordnungsliebend“ wäre mir nie eingefallen. Man darf meinem Zuhause ansehen, dass ich darin lebe. Es ist kein Museum. Die Zeitung liegt so auf dem Tisch, dass man erkennt, dass sie intensiv gelesen wurde. Meine Tee- oder Kaffeetasse, je nach Gemütszustand, darf rumstehen. Sie sollte eh immer einsatzbereit sein.

Aber seit ich Kinder habe, merke ich, im Großen und Ganzen bin ich eigentlich gern ein aufgeräumter Mensch. Ich möchte meine Sachen so zusammenlegen, dass ich sie ohne langes Nachdenken finde. Die Armbanduhr auf meinem Nachttisch. Der Schlüssel am entsprechenden Bord. Die Büchereikarte an ihrem Platz.

Und dann betrete ich das Kinderzimmer.

Meine Kinder sind Sammler. Als Berufswunsch hat der Große mal „Sachensucher“ angegeben, wie Pipi Langstrumpf. Er sieht alles. Den Knopf auf der Straße, den Würfel an der Bushaltestelle, die Papageienfeder im Gebüsch. Und alles kann er gebrauchen. Der Kleine liebt Steine und Stöcke. Da die nicht alle im Haus Platz finden würden, liegt in der bepflanzten Parzelle vor der Haustür mittlerweile eine Stockfamilie.

Wir haben durchaus ein ausgeklügeltes Aufbewahrungssystem. Spezielle Schatzkisten für die Fundsachen. Eine Kiste für Lego, eine Kiste für Playmobil. Die großen Autos in einer weiteren. Die Bücher haben im Regal Platz. Puzzle und Spiele an anderer Stelle u.s.w.. Nur leider hält dieses System dem Spielverhalten der Jungs nicht stand.

Beispiel gefällig? Am Wochenende sahen wir zufällig die ersten Kirmeswagen anrollen. Bald ist am Rhein Osterkirmes, die Fahrgeschäfte wurden aufgebaut. Spannend. Wir haben ein bisschen zugeschaut. Und zuhause wurde gleich selbst eine Kirmes aufgebaut. In harter, akribischer Arbeit. Die Holzeisenbahn diente als Achterbahn. Ein mit Rettungsfolie überzogener Karton (Überbleibsel vom Ägypten-Geburtstag, der nicht weggeworfen werden darf) wurde – bestückt mit Schuhen und Plüschtieren – zum Autoscooter. Die Playmobilfiguren standen schon Schlange. Aus Lego wurde noch ein Kinderkarussell gebaut. Zum Entspannen hatte der Kleine noch eine Leseecke in die Kirmes integriert. Das ganze wird ausgiebig bespielt. Und muss natürlich stehen bleiben, bis der Papa es auch gesehen hat. Und gerne auch länger.

An guten Tagen sehe ich die Kreativität, den Ideenreichtum, die Leidenschaft, die Detailverliebtheit. Natürlich soll mühevoll aufgebautes nicht gleich weggeräumt werden. Aber. An schlechten Tagen trete ich aus Versehen auf ein Legobauwerk, weil man nirgendwo mehr stehen kann (Schmerzensschreie der Mutter werden abgelöst vom Weinen der jungen Bauherren). An schlechten Tage sehe ich nicht die liebevoll gebastelten Kirmesschilder, sondern die auf dem Boden liegenden Stifte und die Schere. Neben den übriggebliebenen Schnipseln. Dann frage ich mich, warum man alles ausschütten muss, nicht in den Mülleimer räumen kann und wer bitteschön auf die verrückte Idee kam, dass Playmobilfeuerwehrleute abziehbare Minihandschuhe tragen und dass selbst diese Minifuzzi-Visiere von den Helmen ablösbar sein müssen.

Dann frage ich mich, wo all meine Aufforderungen, Erklärungen, Bitten, Ermahnungen denn wohl hin verhallt sind. Bevor man ein neues Spiel aufbaut, räumt man das andere erst einmal weg. Pustekuchen. Erziehung ist Vorleben, heißt es so schön. Aber daran kann es nicht liegen, denn der Mann und ich räumen – vor allem seit wir Kinder haben – gerne auf. Wir haben auf unterschiedlichste Art probiert zu vermitteln: spielerisch, als Wettbewerb verpackt, mit Schimpfen und auch schon mal mit der blauen-Mülltüten-Androhung. Mal funktioniert es, meist verhallt es. Und dann gesteht man sich eben ein: hier bin ich wohl gescheitert, mit meinem Latein am Ende.

Das Interessante ist dann aber: wenn man den Kleinen in der Kita abholt, dann ruft er einem gerne zu: „Ich muss noch eben aufräumen“. Und wenn man mal in der Schulmensa zum Essen eingeladen wird, sieht man, wie der Große ohne jegliche Aufforderung den Tisch abräumt und anschließend noch abwischt.

Es geht eben doch. Nur nicht unbedingt zuhause. Oder anders als man denkt.

Als ich kürzlich dem Kleinen sagte, er solle jetzt doch endlich mal aufräumen, da war das Zimmer nach zehn Minuten blitzblank. Die Spielteppiche samt Spielzeug lagen ordentlich zusammengerollt in den Ecken. Da musste ich mir doch wieder eingestehen: Sie sind vielleicht nicht ordentlich, aber Ideen haben sie.

Ich versuche also mehr das Kreative zu sehen. Und wenn man in die Hocke geht, hat man manchmal einen anderen Blickwinkel. Dann hat das Chaos sogar irgendwie System. Meistens hilft auch: Atmen. Und die Frage: Wie ordentlich müssen Kinder sein?

So. Jetzt habe ich mir genug Mut angeschrieben. Jetzt wage ich mich ins Kinderzimmer. Ich erwarte ein Höchstmaß an Ideenreichtum. Eine große Beobachtungsgabe, gepaart mit detailverliebtem Nachspielen des Gesehenen. Gestern war in unserem Viertel Sperrmüll.

Dieser Blogbeitrag ist auf Anregung von @aluberlin und ihrer Blogparade #geschichtenvomscheitern entstanden.

Oma kommt!

Nur noch ein paar Tage, dann ist es soweit. Der Große schreibt schon einen Wunschzettel, der Kleine übt, was er vorsingen will. Nein, wir haben uns nicht mit dem Datum vertan. Wir warten nicht aufs Christkind. Wir warten auf Oma.

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Und die erfüllt Kinderwünsche. Solche, die nur Omas erfüllen können. Unbezahlbar eben.

An erster Stelle stehen kulinarische Wünsche. Falscher Hase, Milchreis, Stuten – das kann niemand so wie Oma. Der Große leckt sich schon jetzt den Mund.

An zweiter Stelle steht Quatsch. Wir machen hier schon ne Menge Quatsch, aber Oma-Quatsch ist anders. Beispiele gefällig?

Es ist gut 20 Jahre her. Oben war ein Giggeln zu hören, dann ein Knarren und – eindeutig ein Hüpfen auf dem Bett. Dabei hatte meine Schwester ihren Jungs doch gesagt, dass sie nicht auf den Betten herumhüpfen sollten. Also schnellen Schrittes hoch zum Kinderzimmer, Tür auf – und Sprachlosigkeit. Die Jungs saßen kichernd vorm Bett. Auf selbigem hüpfte, mit einem Laken über dem Kopf: die eigene Mutter. „Oma spielt Gespenst“.

Meine Neffen sind mittlerweile erwachsen, meine Schwester ist über die Sprachlosigkeit hinweg, meine Mutter ist älter. Mit 83 geht manches nur langsamer, mit Verschnaufpause. Aber ruhiger? Weniger Quatsch? Rollator hin, Gehstock her: Kinder müssen toben und die Oma mit ihnen. Einspruch zwecklos. „Ich bin die Oma, ich darf verwöhnen und Quatsch machen. Ätsch“, heißt es dann.

Das sieht dann ungefähr so aus, dass die Oma sich den Rollator packt, den Großen auf den Inline-Skatern zwischen sich und die Gehhilfe klemmt. Und dann üben sie, ja sie lesen richtig: Schwung holen! Und so ein Rollator kann flott werden…

Überhaupt, was man mit so einem Ding alles machen kann. Man kann noch mal Baby sein und sich den Spaziergang lang von Oma schieben lassen. Man kann damit aber auch Wettrennen gegen den Bruder auf dem Roller fahren. Anfeuerungsrufe der Oma inklusive. So ein Gehstock eignet sich prima als Schwert, glücklicherweise passt der Oma der Piratenhut. Lieber Cowboy? Klar, so ein Stock ist ein prima Steckenpferd, auf dem man durch die Wohnung hüpfen kann. Als 83-Jährige.

Fußball spielen, Stopptanz, Geschichten erzählen im Dunkeln, Oma macht alles mit. Hält die Mama die Luft an, weil der Große im Baum die 2-Meter-Marke knackt, dann applaudiert die Oma. Und weist erst nachher auf die lange Stacheldrahtzaun-Narbe an ihrem Bein hin, die von einem Baumsturz in Kindheitstagen stammt.

Vor allem aber: wenn Oma da ist, hat sie Zeit. Und die Jungs haben immer erst einmal Recht. Es gibt kein zu wild, zu laut, zu schnell, zu hoch. „Kinder müssen toben, laut sein, sich ausprobieren“, sagt sie dann. Sie weiß, wovon sie spricht. Nach vier eigenen Kindern, dazu oftmals noch vier Nichten und Neffen im Schlepptau, und später dann sieben Enkeln, kann man ihr eines keinesfalls nachsagen: Mangel an Erfahrung mit Kindern. Als ehemals berufstätige Mutter weiß sie um Pflichten und Aufgaben von uns Eltern, schaut mal mit kritischem, aber immer auch mit bewunderndem Blick auf unseren Alltag. Während sie ihn vollkommen auf den Kopf stellt.

Aber soll ich Ihnen was sagen? Sie darf das. Sie ist eben die Oma. Erziehen müssen die Eltern, Großeltern dürfen auch einfach nur verwöhnen. Die Kinder wissen da genau zu unterscheiden. Ich hätte immer gern Großeltern gehabt (einer der Nachteile des späten Nesthäkchen-Daseins), die man besuchen kann, die einem vielleicht Süßes schenken, was es zuhause nicht gibt. Vielleicht bin ich deswegen etwas nachsichtiger, wenn ich manchmal auch hart schlucken muss oder mein Blutdruck ein wenig steigt.

Doch dann seh ich den Wunschzettel vom Großen. Oder die leuchtenden Augen des Kleinen, der mit „Oma Konfetti“ Roller fahren will. Höre, wie sie sagen: Oma kommt! Als wäre sie das Christkind. Und freue mich einfach, dass sie ihre Oma so intensiv genießen können.

Junge oder Mädchen? Hauptsache Kind!

Als ich das zweite Mal schwanger, der Bauch erkennbar, eine anfängliche Komplikation überstanden war und wir uns einfach nur auf unser zweites KIND freuten, da wurde ich persönlich erstmals auf extreme Art mit den Jungen-Mädchen-Klischees konfrontiert.
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„Weißt du schon, was es wird? Noch ein Junge? Oh, das tut mir leid.“
„Ach, ihr wollt ja sicherlich noch ein drittes. Das wird dann bestimmt ein Mädchen!“

Wie bitte?

Ich hatte mich nicht verhört. Als ich das „tut-mir-leid-wie-schade“ ein zweites Mal hörte, war ich gewappnet. Schlagfertiger. „Wir bitten von Trauerbekundungen Abstand zu nehmen“, habe ich geantwortet. Nein, so sei das ja nicht gemeint gewesen, ich wäre da wohl etwas empfindlich (Hormone!). Aber Jungen seien nunmal eben sehr wild, laut, machten mehr Schmutz und Ärger, es gehe mehr kaputt. Und wenn sie erwachsen seien, dann würden sie sich nicht melden, kümmern würden sich ja immer nur die Töchter.

Als der Große zuletzt eine AG in der Schule wählen konnte, war er ein bisschen unschlüssig. „Ich würde das gern machen. Aber Jungen machen da nicht mit, oder?“ Es ging um die Töpfer- AG.

Seit wann ist das eigentlich (wieder) so, dass Mädchen niedlich, brav, sauber und das „schwache Geschlecht“ sind/sein sollen? Und Jungen sind laut, wild, dreckig, anstrengend, aber so werden sie eben zum „ganzen Kerl“? Kommt es mir nur so vor, oder wird die klassische Rollenzuteilung wieder stärker?

Als vor kurzem die Klassenfotos in der Schule des Großen gemacht wurden, habe ich sie mir genau angeschaut. In seiner Klasse haben alle Mädchen zumindest schulterlange Haare oder länger. Immerhin 2 von 9 trugen dunkelblau, der Rest rosa und/oder Kleid. Bei meinem Erstklässlerfoto von 1979 muss man dagegen schon ganz genau hinschauen, welches Kind ein Junge, welches ein Mädchen ist. Alle trugen Hosen und Rollis, blau, gelb, rot. Kein rosa. Und die meisten hatten geschlechtsneutral den gleichen Topf-Schnitt.

Heute ist alles genau unterteilt: Überraschungseier, Legosteine, Fahrrädchen. Jungs hellblau, Mädchen rosa (Lesenswert dazu: ich-mach-mir-die-welt.de). Jungs aufgeweckt, robust, wild und laut. Mädchen zurückhaltend, zart, leise bastelnd. Lässt sich prima vermarkten und es wird ja gekauft. Kinder werden früh, manchmal unbemerkt (und da schließe ich mich mit ein), in Klischees gepresst.

Wir haben zwei Kinder. Die völlig unterschiedlich sind. Der eine baut gerne und schlüpft in verschiedene Rollen. Der andere spielt versunken mit kleinen Figürchen. Der eine kann stundenlang filigrane Dinge basteln, für die meine Fingerfertigkeit und Geduld lange nicht ausreichen. Der andere malt und knetet ausgiebig. Beide toben, raufen und tollen wild herum. Beide lauschen ganz andächtig, wenn man ihnen Geschichten vorliest. Und ja, beides sind Jungen.

Mehr noch: ich glaube, auch wenn ich eine Tochter hätte, würde sie gern mit mir durch Pfützen hüpfen, Kissenschlachten machen, auf dem Sofa Trampolin springen. Ich würde ihr genauso Geschichten von Pippi Langstrumpf und Jim Knopf vorlesen. Das hat nichts mit Geschlecht, eher mit – nennen wir es eine Art Temperament – zu tun.

Und nein, ich sehe mich nicht als „Jungenmama“. Denn ich glaube im Umgang mit meinen Nichten war ich -was wild, laut, verrückt angeht – nicht anders, als jetzt gegenüber meinen Söhnen.

Rosa gehörte noch nie zu meinen Lieblingsfarben. Ich selbst habe mit Barbies gespielt, aber auch mit Lego. Das war damals allerdings noch unisex. Ich habe Hanni und Nanni gelesen. Aber auch fünf Freunde und die Drei ???. Meine Lieblingsfilmfigur war erst Luzie, der Schrecken der Straße. Später „Die rote Zora“. Ich war keine Pferdenärrin (im Gegensatz zu meinem Bruder, der begeisterter Reiter war), habe aber mit Leidenschaft Jazztanz gemacht. Und war wie mein Bruder Fortuna Düsseldorf-Fan.

Was ich damit sagen will, ist: Es sind Kinder. Sie sollen sich entfalten, ausprobieren, entdecken. In freien Bahnen, nicht nach rosa und hellblau unterteilt. Ihre Möglichkeiten ausschöpfen, für sich das Richtige finden. Ob es nun Fußball, Tanz, Musik oder Malerei ist. Sich nicht rechtfertigen müssen, dass sie etwas tun, obwohl sie doch Junge oder Mädchen sind. Nicht in Rollen gedrängt werden, die sie von vorneherein einschränken. Dabei geht es nicht um Gleichmacherei. Sondern um Vielfalt. Und um Selbstbewusstsein, denn das gehört heute dazu, wenn man seinen Weg gehen will.

Im Töpferkurs sind übrigens drei Jungen und neun Mädchen. Und es macht allen richtig Spaß.

Vorsicht, Hundescheiße

Braun bis tiefschwarz, gelblich, beige. Von ganz fest bis dünnflüssig. Man lernt viel, wenn man Kinder hat. Zum Beispiel auf vier Meter Entfernung einen Hunde- oder Katzenhaufen auf dem Gehweg zu identifizieren, um sogleich den Alarmmodus einzuschalten. Sirenengleich klingt es dann aus meinem Mund „Vorsicht, Hunde-Aa“, während meine Arme in den automatischen Zur-Seite-zieh- und nach vorne-weg-drück-Greifmodus übergehen. Unglücklicherweise bewegen sich Kinder aber oftmals laufend, hüpfend, sprintend vorwärts, so dass selbst der ausfahrbare Muttergreifarm nicht ausreicht, um das Kind vor dem Unvermeintlichen zu retten. Dem Sprung in die Hundescheiße.

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Meine Jungs sind zudem begeisterte Kletterer. Das ist eigentlich das ideale Mittel gegen Vierbeinerscheiße, denn bisher haben wir in Bäumen auf zwei Meter Höhe noch keinen Haufen entdeckt.

Ein Problem allerdings ist es, sicheren Weges, also Hundetretminenfrei, auf einen solchen Baum zu gelangen. Als bestes Mittel hat sich bisher das Detektivspiel bewährt. Man drückt den Kindern eine Lupe in die Hand und erklärt ihnen, wie sie sich langsam an einen Baum heranschleichen und nach Spuren des Hundes von Baskerville Ausschau halten sollen.

Besonders gefährdet sind Kinder, die gutes, festes Schuhwerk tragen. Denn das hat pro Kinderfuß mindestens 37 Rillen, aus denen man die tierischen Verdauungsreste rauspuhlen muss. Und bei all den unzähligen Ratgebern für werdende oder bestehende Eltern, verstehe ich nicht, warum es dazu noch keine Literatur á la „Jedes Kind kann Hundehaufen umlaufen lernen“ oder „111 Tricks, wie sie Hundescheiße rückstandslos aus Kinderschuhen bekommen“ gibt. Das könnten Bestseller werden.

Besonders wirkungsvoll ist es, den Kindern vorzuführen, wie man nicht in Hundescheiße tritt. Zum Beispiel, wenn man neben einem Baum samt Bepflanzung geparkt hat und genau in letzter Schrittlänge vor der Beifahrertür eine eben solche tierische Hinterlassenschaft liegt. Sie öffnen dann möglichst elegant über den Hundehaufen gestreckt die Beifahrertür, drücken dabei mit der anderen Hand ein paar Zweige eines Rosenstrauches, der als Haufensichtschutz an den Baum gepflanzt wurde, zur Seite, um dann galant die Sitzerhöhung für das Gastkind auf den Beifahrersitz zu werfen. Unglücklicherweise haben sie den einen, etwas kürzeren, Rosenstrauchzweig nicht einkalkuliert und er flitscht ihnen seitlich ins offene Auge. Sie lassen also Autotür, Kindersitz und Rosenstrauch los und hüpfen, eine Hand auf das Auge pressend, herum. In dem Moment geht der Alarmmodus ihrer Kinder an und sie rufen unisono: „Vorsicht Mama, Hundescheiße“.

P.S. Keine Sorge: Mutter und dazugehörigem Auge geht es gut, sie weiß jetzt auch, wie es ist, als ungeduldiger Patient in der Ambulanz zu warten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Alaaf und Helau oder auch „Der ganz normale Wahnsinn“

Februar. Die Zeit, in der der Rheinländer philosophisch wird. Sich in Frage stellt. Einem tiefen Bedürfnis auf den Grund geht. Wer oder was bin ich? Wer oder was möchte ich sein?

Gut, man könnte auch einfach sagen: Februar, der Monat, in dem der eh schon verrückte Rheinländer völlig durchknallt. Sich grüne Mülltüten und ein Krönchen anzieht, behauptet, er sei der Froschkönig und lauthals „Kamelle“ quakt.

Ja, wir sind jeck hier in Rosas Welt. Gut, man könnte jetzt sagen, das sind wir immer. Stimmt auch irgendwie.

Wenn wir in den Urlaub fahren, hört und sieht man dank unserer Kinder sofort, wo wir herkommen. Sie sitzen am Strand, werfen vor Freude Sand in die Luft und rufen: „Kamelle“. Sie toben im Stroh eines bayrischen Bauernhofs und rufen: „Kamelle“.

Aber im Februar sind wir eben noch etwas jecker. Oder bescheuerter, je nach Sichtweise (okay, der Mann versucht immer noch, sich fünf tolle Tage lang die Decke über den Kopf zu ziehen, aber keine Chance, hier haben sich meine Gene durchgesetzt).

Wie so ein Karnevalstag im Hause Rosa aussieht? Ein Beispiel:

6.45 Uhr Wecken. „Denn wenn dat Trömmelche jeht“ dröhnt aus dem Kinderzimmer.

7.01 Uhr ich brauche dringend einen Kaffee, muss aber erst noch helfen, den Lego-Duplo-Karnevalszug aufzubauen.

7.15 Uhr ich hätte jetzt Zeit für einen Kaffee, muss aber erst einmal meinen Fuß verarzten. Auf der Sohle prangt der Abdruck eines Sheriffs-Sterns.

8.00 Uhr „Jommer in en andere kaschämm…“. Der kleine Sultan hat Dooscht und die Karawane zieht gen Küche. Kaffee…

8.21 Uhr vor mir stehen ein Cowboy und ein Indianer und fordern Kamelle. „Was machst du da mit meinem Kleiderbügel?“ „Das ist mein Bogen, uh!“ Wild ist der Westen, schwer ist der Beruf. Uh. Der Kaffee ist übrigens mittlerweile kalt.

8.53 Uhr fertig machen für den Zooch. Also für einen der vielen am Karnevalswochenende. Der Große hadert noch ein bisschen damit, dass ich künstlerisch nur minderbegabt bin und ihm deswegen nicht ein Darth
Maul-Gesicht schminke. Aber das Astronautenkostüm überzeugt durch den Helm, mit dem man prima Kamelle fangen an.

9.07 Uhr Der Kleine hat sich gerade überlegt, dass er doch lieber passend zum Astronauten-Bruder ein Außerirdischer sein möchte. Wo sind nochmal die grünen Mülltüten? Dazu noch zwei silberne Glitzerkugeln von Weihnachten auf den Kopf. Fertig.

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9.23 Uhr „Mama, bist du soweit?“ Ja, da ist sie dann, die Sinnkrise. Wer oder was bin ich?
Wo ist nur das Hexenkostüm? „Du sollst dich doch verkleiden“, sagt der Mann. Okay, Teufelin. „Als was nicht zu offensichtliches.“ Dann eben Clown. „Och Mama, ein Clown bist du jeden Tag“, sagt der Große. Keine Sorge, das ist unsere Art von Humor hier.

9.38 Uhr Wo sind denn jetzt schon wieder die grünen Mülltüten hin? Der Kleine und ich gehen im Partnerlook.

10 Uhr Wir sind am Zugweg. En unserem Veedel. Wir tun, was Rheinländer so tun im Februar. Wir schreien Alaaf und Kamelle (bei Besuchen in meiner alten Heimat auch mal Helau). Wir schunkeln. Der Mann schnappt. Ich hebe mangels Fangkünsten Kamelle auf. Die Kinder halten ihre Taschen auf und essen.

Irgendwann am Mittag sind wir wieder daheim. Jetzt aber: Kaffee. Und dazu ein Berliner. Aus dem Kinderzimmer hört man es scheppern. Die Jungs stehen auf dem Hochbett und machen, was Kinder Karneval so machen. Sie werfen Kamelle vom Wagen.

Also – halten Sie Mülltüten parat. In diesem Sinne für die nächsten Tage schon einmal: Alaaf! Und Helau!