Ferieneingewöhnung oder: Wo bitte geht’s denn hier zum Abenteuer?

Was haben wir hier drauf gewartet: Ferien, endlich frei! Keine Schule, keine Hausaufgaben, lange schlafen, spielen, machen, wozu man Lust hat.

Okay, soweit die Vorstellung.

Und dann beginnt sie, die Realität. Um 6 Uhr ist der Große, der in den letzten Wochen mit Engelsgeduld um 7 Uhr aus dem Bett geredet werden musste, hellwach. Ferien! Machen, was ich will. Und dann trifft er sie in seinem Zimmer, die Ernüchterung. Er sitzt da, schaut sich um. Im Gegensatz zur Familie putzmunter. Er könnte lesen. Oder was mit Lego bauen. Wie ist das Wetter, können wir den Pool aufbauen? Mama, wie wäre es mit einer Runde Kniffel? Machen wir eine Radtour? Unbegrenzte Möglichkeiten. Allerdings ist die Diskussionsbereitschaft der Eltern um diese Zeit – zurückhaltend. So viele Möglichkeiten. Aber es fühlt sich alles nicht nach Ferien an. Dieses Gefühl von Freiheit, Faulenzen. Es stellt sich einfach nicht sofort ein. Alles ist langweilig, doof, kennt er schon. Wo bitte geht’s denn jetzt zum Abenteuer?

Im Zimmer nebenan wird der kleine Bruder wach. Erster Gedanke: Ich habe Ferien. Kurze Nachfrage: „Mama, wann ist wieder Kindergarten, ich wollte doch noch mein Buch zeigen?“ Vorsichtige Antwort: „Die Kindergartenzeit ist doch jetzt vorbei, wir können deine alte Gruppe nach den Ferien mal besuchen…“ Und jetzt trifft der Kleine sie in seinem Zimmer, die Erkenntnis. Er ist jetzt kein kleines Kind mehr. Er wird bald ein Schulkind sein. Heute geht er das erste Mal in eine Ferienbetreuung, mit Kindern, die er noch nicht kennt, wie ein Großer. Yippieh! Er kramt seinen Rucksack hervor, schnell, Verpflegung rein, wir fahren mit dem Fahrrad, dem größeren mit Gangschaltung, dass er just von seinem Bruder übernommen und gegen das Kinderrad getauscht hat. Groß, groß, er ist endlich groß. Dieser Duft von Freiheit!

Im elterlichen Schlafzimmer schauen vier müde Augen auf den Wecker. Es ist 6.15 Uhr. Da war doch was? Ach ja, Ferien. Warum haben wir unseren Urlaub nicht auf die ersten drei Wochen der Sommerferien gelegt, dann könnten wir uns auch gerade auf Langeweile und Abenteuer freuen. Stattdessen der erste Gedanke: Warum so viele Worte vor dem Weckerklingeln? Ach nein, der klingelt ja heute für die Kinder gar nicht. Dafür scheppert neben meinem Ohr der Kniffel-Würfelbecher. „Eine Runde, Mama?“ Ich kann nicht würfeln, bevor ich den ersten Kaffeebecher gehalten habe. Äh, ich meine geleert habe.

8.30 Uhr. Der Große, der noch vor einer Stunde absolut keine Lust auf Ferienbetreuung hatte, hört Musik, tanzt, macht sich fertig. Er will jetzt schnell los, seine Freunde warten. Das ‚Du-hast-noch-Zeit‘ hört er nicht mehr, ihm ist eingefallen, wie Ferien gehen. Dass er diese Woche durch die Natur streifen wird, mit Freunden über Felder und durch Wälder toben wird. Ohne große Vorgaben. Einfach mit Spaß, Lachen, matschigen Füßen oder verstaubtem Gesicht.

Der Kleine hat seinen Fahrradhelm an und wartet nur drauf, mich abzuhängen. „Los Mama, es sind Ferien. Ich fahr‘ nicht mehr wie ein Kleiner zur Kita.“ Groß, groß, er ist groß. Wann radeln wir denn endlich los ins Abenteuer?

Wir Eltern nicken uns stumm zu, bereiten uns auf unseren Alltag vor. Noch drei Wochen. Dann haben wir Urlaub. Mal sehen, wie lang unsere Eingewöhnungszeit dauern wird.

Was auf Zeugnissen steht – und was darauf stehen sollte

Noch sechs Tage, dann ist es wieder soweit. Es gibt Zeugnisse. Zwei Jahre liegt es nun zurück, das erste Zeugnis, das mit einer Mischung aus Freude und Bauchweh entgegen genommen wurde. Zwei Jahre liegt unser Treppengespräch nun zurück. Schule ist mehr und mehr zum Alltag geworden. Schule ist nicht mehr vor allem spannend und aufregend. Schule ist öfter auch mal doof, oft auch langweilig. Und Schule ist mehr und mehr Stress.

Das nächste Schuljahr, das nächste Zeugnis wird entscheidend sein für den nächsten Schritt – die weiterführende Schule. Und während wir Eltern hier gerne einfach Schritt für Schritt gehen würden, den Druck soweit wie möglich rausnehmen wollen, steht es plötzlich mitten im Kinderzimmer, das „Weiterführende-Schule-Gespenst“. Wie geht es nach der Grundschule weiter?

Wie oft werden wir von anderen Eltern gefragt, was wir geplant haben. Wie oft werden wir erstaunt angesehen, weil wir nicht schon in den vergangenen Schuljahren Infoabende weiterführender Schulen besucht haben. Aber das ist nicht wichtig, denn der Ehemann und ich können das wegstecken.

Aber wir haben den Druck, den wir nie machen wollten, der aber von außen auf das Kind presst, unterschätzt. „X wird auf diese Schule gehen, Y dahin…“ Während ich denke, sie tauschen ihre Ninjago-Karten auf dem Schulhof, diskutieren sie immer öfter auch das „Was-kommt-dann“. Und dann drängt sich die Frage „Bin ich gut genug?“ in die Köpfe von 9- und 10-Jährigen. Diesmal kam sie nicht unmittelbar vor der Zeugnisvergabe auf der Treppe. Sondern beim Frühstück, eine Woche vorher.

Bin ich gut genug? Gut genug für was? Du kannst toll rechnen, liest gerne, bist eine Sportskanone. Ja, du machst Fehler. Ja, du reagierst nicht immer „schulkonform“. Aber hey, du bist 9! Du steckst voller Ideen, erfindest Geschichten, malst wahnsinnstolle Bilder, drehst Filme. Du spielst mit deinem Bruder Schule, bringst ihm so viel bei, dass er es zum Beispiel in der Schule in einigen Bereichen bestimmt leichter haben wird, als du es hattest. Du bist eine Sportskanone, läufst so schnell, springst so weit, wirfst voller Kraft, dass ich mich oft Frage, wo all die Energie in dem drahtigen Körper steckt. Du liebst die Natur, hast eine Auge für die schönen Dinge um dich herum. Du bist ein Quatschmacher. Beim Durchblättern deines Freundebuches fiel mir auf, dass fast jeder deiner Freunde unter ‚was ich an dir mag‘ nicht nur schrieb, dass man mit dir viel Spaß hat, sondern dass du hilfsbereit bist. Klar streitest und schimpfst du. Aber du bist auch voller Empathie. Du bist nicht gut. Du bist toll. Das alles sollte eigentlich auch in deinem Zeugnis stehen.

„Auf welche Schule würde ihr Kind denn gerne gehen?“ fragte mich jüngst jemand vom Lehrpersonal. Ganz ehrlich? Mein Kind hat überhaupt keine Vorstellung, was Gesamtschule, Gymnasium, Realschule bedeuten. Es ist 9. Und wenn ich es frage, dann will es eines: In eine Schule mit seinen Freunden gehen. 

Wir werden uns also im Herbst, wenn es dann soweit ist für diesen Schritt, weiterführende Schulen anschauen. Wir werden sehen, was auch dem Kind dann zusagt, wenn es sich ein Bild gemacht hat. Bis dahin versuchen wir weiterhin uns -wenn auch möglicherweise naiv- dem Entscheidungsdruck entgegenzustellen.

Und warten sehnsüchtig erstmal auf die anstehende nächste Etappe: Ferien. Nur noch 10 Tage.