Du

Die Hände voller Gepäck, die Kamera irgendwo, nur nicht griffbereit. Umso mehr hat es sich eingeprägt, dieses Bild von dir, das jetzt stellvertretend für den ganzen Urlaub in meinem Kopf ist. Ein Bild, dass so typisch für dich ist, das zu dir passt, wie kein anderes. 

Es ist dieser kurze Augenblick. Wir sind gerade angekommen am Hafen. Es riecht nach Meer und Watt. Der Wind weht Sand und Salz auf unsere Haut. Und während wir Erwachsenen das Gepäck ausladen und für die Fähre aufgeben, Tickets kaufen und den Wagen zum Parkplatz bringen, setzt du dich in den Sand. Ich sehe, wie dein Bruder begeistert das Piratenschiff erobert, während du dich einfach in den Sand legst. Du lässt ihn durch deine Hände rieseln, immer und immer wieder. Du riechst an ihm, konzentrierst dich ganz darauf, das Gefühl dieses Sandes aufzunehmen.

„Das ist Strand-Sand, Mama, nicht wie auf den Spielplätzen sonst. Ganz fein, er riecht nach Meer und Muscheln. Das ist Urlaub.“ Du bist ganz versunken in diesem Moment, strahlst so glücklich, dass ich kurz glaube, du hättest sogar Tränen im Auge. 

Da sitzt du, mein feinfühliger, sensibler Sohn. Und mir wird wieder einmal bewusst, wie schwer sie manchmal auf dir lastet, die Welt mit ihrem Alltag. Du nimmst alles so intensiv auf, kleinste Schwingungen von Stress und Druck nimmst du wahr. Du nimmst vieles so ernst, vieles macht dir Angst, du sorgst dich um uns alle.

Und da das ja nicht jeder gleich mitkriegen soll, hast du deine eigene Schutzrüstung. Du gibst gerne mal den Clown. Alberst rum, tobst wild und laut. So intensiv, wie du fühlst, so reagierst du dann auch schon mal nach außen. Ob nun ängstlich, liebevoll, wütend. Du bist es in diesem Moment ganz und gar.

Das macht es für die Menschen um dich herum manchmal schwierig. Du musst die Dinge zu fassen bekommen, um sie zu verstehen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es hat mich einige Zeit und Nerven gekostet, das zu verstehen: Du musst Dinge, wenn es irgend geht, anfassen. Wenn dir das Geschehen um dich herum  zu viel wird, im positiven wie im negativen, dann drehst du auf, wirst noch ein bisschen wilder, manchmal überdreht. Oft hilft es, dich in den Arm zu nehmen oder auch, dir die Hand zu reichen. Nur, wenn ich selber gerade wütend oder überfordert bin, ist das nicht immer einfach. Ich brauche dann Zeit zum Atmen und muss gleichzeitig schauen, dass du diesen Moment nicht als Ablehnung verstehst.

Freunde sind für dich unheimlich wichtig. Hast du jemanden zu deinem Freund auserkoren, kann er sich deiner Treue sicher sein. Umso mehr schmerzt es dich, hintergangen oder ausgegrenzt zu werden. Und ich überlege schon jetzt manchmal, wie und ob ich irgendwann einmal deinen ersten großen Liebeskummer auffangen kann.

Du hast dir mich von Anfang an ausgesucht als deinen Haupt-Gegenpol. Als deinen Ruhepunkt, deinen Spiegel, deinen Rückzugsmensch. Du kommst zu mir, wenn du dich anlehnen willst und musst, Halt brauchst. Du schreist mir deine Wut über all die Ungerechtigkeiten des Alltags entgegen, du provozierst mich, weil du mir vertraust. Ich kann nicht immer so reagieren, wie du es brauchst, wie es richtig und bedacht wäre. Weil auch ich mal ungeduldig bin, mir manches zu viel, zu laut, zu wild wird. Aber ich versuche es, immer wieder neu. Ich sehe dich. Deine Angst, deine Nöte, deine Verwundbarkeit.

Du verlangst viel von dir. Auch hier würde ich dir gern etwas Last nehmen. Du möchtest nicht nur gut sein, sondern sehr gut. Deine Ansprüche an dich sind hoch und du zweifelst viel zu sehr an dir.

Du bist du. Und das ist schön. Du bist ein toller Bruder, Enkel, Neffe, Cousin, Freund. Vor allem aber bist du ein ganz toller Sohn.

Du bist wunderbar. Das solltest du wissen.

Und weil er so gut in die Reihe passt, ist der Brief nun auch Teil der  ‚Liebesbriefparade‘  des Blogs Verflixter Alltag. Weil wir uns doch viel öfter sagen sollten, was wir aneinander haben.

Auf ein frohes Neues

Einmal im Jahr werden viele Freunde und Bekannte um mich herum gleichzeitig melancholisch. An Silvester, kurz bevor man sich freudig ein gutes neues Jahr wünscht, wird zurückgeblickt. Und nach vorne geschaut. Wie war das vergangene Jahr? Was wird das neue Jahr bringen? Stehen Veränderungen an?

Als Kind habe ich das nie verstanden. Das Vergangene war ja nun eh vorbei, ein neues Jahr begann und Silvester war einer von vielen schönen, aufregenden Feiertagen. Und dann ging das Jahr weiter, wie es vorher war: Ferien vorbei, ab in die Schule. Gleiche Klasse, gleiche Lehrer, gleiche Freunde. Nur die neue Jahreszahl beim Datum musste man ein bisschen üben.

Seit der Große in der Schule ist, erlebe ich es wieder so. Die großen Schritte machen wir hier nicht zum Jahresende. Der aufregende, manchmal Bauchgrummel, manchmal Vorfreude hervorrufende Neubeginn des Jahres liegt bei uns im August.

So endet auch dieser Monat und ist zugleich für uns ein Startblock für ein neues Jahr. Wir schauen nochmal auf den Sommerurlaub zurück, basteln mit den mitgebrachten Muscheln, erinnern uns beim Anblick der Fotos an neu gewonnene Freunde und Nordseewellen, die über unsere Köpfe hinwegrollten.

Gleichzeitig blicken wir nach vorn und machen Pläne. Der Große wartet gespannt auf seinen neuen Stundenplan. „Habe ich im ersten Halbjahr schon Schwimmunterricht?“ Schließlich hat er extra in den Ferien sein Bronzeabzeichen gemacht. „Was ist eigentlich Kommunion?“ ist eine weitere, ausgiebig besprochene Frage. Denn die steht im nächsten Frühjahr auf dem Plan und „ein Fest nur für mich, mit der ganzen Familie?“, das freut ihn schon sehr. Dann geht die Fußballsaison wieder los, diesmal eine Altersklasse höher. Für die Mannschaft gelten jetzt andere Regeln, es wird mit Schiedsrichtern gespielt…irgendwie schon fast wie die Großen. Und dann ist Papa auch noch der neue Trainer. Also auch eine neue Zeit für den Vater, mit vielen Vater-Sohn-Momenten.

Der Kleine startet nicht minder aufgeregt. Er zählt noch die Wochen, dann bald die Tage. Denn in diesem Herbst wird er 6, eine magische Zahl für ihn. Mit 6 ist man ja quasi schon groß, ’ne? Zumindest steht dann im nächsten Jahr die Einschulung bevor, und das ist ja nun definitiv ein großer Einschnitt. Mit diesem August ist er ein Vorschulkind, ein Rang von höchster Bedeutung. Er bietet Privilegien, viele besondere Ausflüge, einmal die Woche Vorschule. „Und ich bin ein Vorbild. Wir müssen uns mit um die Kleinen kümmern, die noch nicht alles kennen oder wissen, was man hier alles spielen kann.“ Sehr wichtig. Schule anschauen, anmelden, Schulranzen aussuchen, Tüte basteln, Bücher neu entdecken, all das startet jetzt. Und Fußballspielen wie sein großer Bruder möchte er auch. Ooohhh…

So viele Meilensteine, die warten, da könnte man doch glatt mit einem Glas Sekt anstoßen, oder? Auf ein gutes, frohes neues Familienjahr oder so. Prost!