Von Wunderkerzen und Plan B

Ich bin von Laden zu Laden gelaufen. Nein, Wunderkerzen gäbe es erst wieder zur Weihnachtszeit. Ich schaue auf Spekulatius und Marzipankartoffeln gleich neben der Kasse, aber die Verkäuferin zuckt nur die Achseln. „Bis Silvester sind’s heute noch 100 Tage.“

Prima, das wird mir auch nicht helfen. Es ist der Abend vor dem Tag X und leider habe ich in der Mittagspause vergessen, in der Innenstadt Alljahres-Wunderkerzen zu besorgen. Ich brauche einen Plan B. Sonst gibt es Tränen. Nicht vom ‚Geburtstagskind‘. Das würde wahrscheinlich einfach nur gerne ausschlafen, wenn alle aus dem Haus sind in Ruhe frühstücken und vielleicht nachmittags, wenn der Sprach- und Aufnahmemodus endlich auf „an“ steht, mit der Familie ein Stück Kuchen essen. Muss aber nicht sein.

Ja, Tränen, die könnte es von unserem großen Geburtstagsfan geben. Denn so ein Geburtstag ist für unseren Großen einfach etwas ganz Besonderes. Nicht nur der eigene. Manchmal sogar mehr noch der der anderen.

Über Wochen wird der Feier von Mama, Papa, Bruder entgegen gefiebert. „Was wünscht du dir?“ wird der kleine Bruder schon seit August gefragt. Geburtstag hat er im Oktober. Aber jetzt ist erst einmal Papa dran. Und zu einem Papa-Geburtstag gehört ein selbstgebackener Kuchen ( ja, es gibt da durchaus Unterscheidungen zwischen den Eltern. Diese haben nichts mit dem Maß an Zuneigung, sondern schlichtweg mit einer realistischen Einschätzung der Backkünste zu tun). Gut, der Kuchen ist also gebacken und verziert.

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Dann die Frage nach der Deko. Die darf auf keinen Fall fehlen. Genaue Vorstellungen hat der junge Mann außerdem. Es ist Ende September. In München wird die Wiesn gefeiert. Und da in der Smartiesdose schon keine blau-weißen Smarties waren, mit denen wir die bayrische Flagge als Kuchenverzierung machen konnten (Danke!), muss es also eine blau-weiße Tischdecke für den Papa sein. Und Teelichter mit dem Alter drauf. Und Luftschlangen. Raten Sie mal. In blau natürlich.

Der kleine Bruder ist mittlerweile angesteckt. Er ist zwar im Gegensatz zum Großen eher der Last-Minute-Planer (hab ich noch was Gebasteltes, was ich verschenken kann?), aber nicht weniger liebevoll um einen stilvollen Geburtstag bemüht. Er plant die Gesangseinlagen (Laudato si – im Kindergarten wird gerade Erntedank thematisiert) und die Einsprecher („Ich sage: Wir danken für die Früchte. Deinen Text überleg ich mir noch, Mama.“).

So weit, so gut. Und dann ist da der Plan, dem sich Eltern ergeben müssen. Egal wie gerne du ausschlafen möchtest; egal, wie früh es ist, damit der Große noch ein Stück Kuchen essen kann, bevor er in die Schule muss; egal, wie schräg der Gesang ist. Es gilt eine einfache Regel:

Wenn morgens um sechs zwei kleine Jungs mit einer Wunderkerze vor deinem Bett stehen und ‚Happy birthday to you, Marmelade im Schuh‘ singen, musst du strahlen, sie in den Arm nehmen und mit ihnen Kuchen essen.

Tja, und da wäre es wieder, mein Problem. „Mama, hast du Wunderkerzen besorgt?“

Heute machen wir das mal anders. „Ihr beiden seid unsere Wunder und deshalb haltet ihr eine Kerze in der Hand. Okay?“ Puh. Plan B ist akzeptiert. Dem Geburtstag steht nichts mehr im Wege. Außer vielleicht einem müden Geburtstagskind.

Ein frisches „Happy birthday“,
lieber Ehemann & Papa

Lebensversicherung

Wann genau hat das eigentlich angefangen? Würde mein 29-jähriges Ich, während es gerade in New York ankommt und seine Unterkunft sucht, mich jetzt sehen, es würde sagen: Das bin nicht ich. Das kann nicht sein.

Sicherheit, Geborgenheit, Zuhause, Infrastruktur, Menschen, auf die ich mich verlassen können muss. Dass sind die Worte, die mir derzeit durch den Kopf kreisen. Vor 10 Jahren noch waren es Abenteuerlust, Reisefreudigkeit, Ortswechsel, Spontanität, Flexibilität – alles, nur keine Langeweile.

Wann genau hat sich das gedreht?

Wenn ich ehrlich bin, glaube ich, unmittelbar nach der Geburt des Großen. „Die Geburt wird der schönste Moment deines Lebens, an dieses Glücksgefühl erinnere ich mich immer noch“, bekam ich von erfahrenen Müttern im Verwandtenkreis zu hören. Als dieser kleine Wurm mit seinen langen Fingernägeln und der süßen Stupsnase dann da war, habe ich ihn erstmal nur bestaunt. Und als der Gatte dann sagte, er gehe mal raus, gebe allen Bescheid, da war es das erste Mal da. „Komm schnell wieder“, hab ich gesagt. Aber gefühlt habe ich, worüber ich mir in meiner unbeschwerten Schwangerschaft in dieser Weise keine Gedanken gemacht hatte: Ich bin jetzt für dieses kleine Wesen verantwortlich. Für immer. Mein Kind. Ich will es beschützen, behüten, lieben, zu einem glücklichen Menschen heranwachsen lassen. Ich muss aufpassen. Da sein. Immer. Ich will das gut machen.

Schon vorher hab ich Verantwortung getragen. Im Beruf. In der Partnerschaft. Entscheidungen treffen, ja klar. Gerne auch schnell und in Stresssituationen. Und dann mummelt sich da so ein kleiner Mensch in die Armkuhle und ich stelle plötzlich alles in Frage.

Ich bin keine ängstliche Mutter. Ich lasse sie laufen, klettern, ausprobieren, ermutige sie. Mache notfalls die Augen zu und hoffe, dass alles gut geht. Bin aber da, wenn sie mich rufen oder brauchen. Und ja, ich glaube auch, ich mache meine Sache im Großen und Ganzen gut. So gut ich kann, mit meinen Fehlern eben.

Aber die Sache mit der Verantwortung ist schwerer, als ich dachte. Wenn es gilt Entscheidungen zu treffen, dann hab ich die Kinder im Blick. Was würde es für sie bedeuten? Aber, und das ist das eigentlich Nervige, ich habe Szenarien im Kopf, an die ich früher nie dachte. Was ist, wenn ich den Job verliere? Oder der Mann? Wenn einer von uns krank wird? Wird diese Entscheidung dann noch richtig sein? A oder B, welches ist der richtige Weg? Wenn ich den falschen nehme, was bedeutet das dann für uns? ‚Ob du wirklich richtig stehst, siehst du, wenn das Licht angeht‘, höre ich Michael Schanze in meinem Kopf rufen und warte auf Erleuchtung. Am liebsten nachts, im Dunkeln.

In meiner Umgebung gibt es im Moment Menschen, die ernsthaft erkrankt sind. Die ihren Job verloren haben. Die in einer Insolvenz stecken. Die alle wahnsinnig kämpfen, wofür ich sie zutiefst bewunder. Und ich? Mir geht es gut, Mann und Kindern geht es gut. Und das würde ich gerne einfach absichern. Das Leben versichern, quasi.

Dass das nicht geht, weiß ich selbst. Ich bin vielleicht älter, spießiger, sicherheitsbedürftiger geworden. Aber nicht weltfremd. Ich bin auch immer noch reisefreudig, abenteuerlustig, spontan und flexibel. Nur eben ein bisschen anders. Die Prioritäten haben sich verschoben. Reisen müssen nicht auf einen anderen Kontinent führen, eine Nachtwanderung mit den Jungs ist durchaus abenteuerlich. Spontanität und Flexibilität ergeben sich durch Kinder eh, wenn auch anders als früher.

Und wer macht jetzt mal das Licht an?

Dann ist da gottseidank der Gatte, der damals wirklich in den Kreißsaal zurückgekehrt ist, nachdem er allen Bescheid gesagt hatte. Der immer dann stark ist, wenn ich es nicht bin. Und umgekehrt. Da ergänzen wir uns sehr gut. Und der sagt dann einfach: Das wird schon, wir machen das schon. Wenn nicht so, dann anders.

Alles wird gut. So oder so. Nicht grübeln, machen.