Mein Treppenwitz

Es gibt so Tage, da fällt einem jeder Schritt schwer. Aufstehen, obwohl es draußen doch so kalt ist. In die Bahn steigen, obwohl sie so voll ist, dass man vielen Menschen viel näher kommt als man möchte. Termine auf dem Kalender sehen, die einem Magengrummeln verursachen. Tage, an denen sich die Stufen zum Büro im 2. Stock ziehen, als sei es der 8.

Dann ist er verlockend, der Aufzug. Einfach einsteigen, nix machen müssen, gegebenenfalls einfach weiterfahren. Je nach Modell und Alter höchstens ein flaues Gefühl im Magen, dass er stecken bleiben könnte.

Ich gehe lieber zu Fuß. Bis zum dritten Stock, so meine Regel, immer zu Fuß. Danach darf bei Gelegenheit die Tagesform entscheiden.

An solchen Tagen, an denen Treppen so endlos wirken, erinnere ich mich immer an meine Zeit in New York.

Mein Lieblingsgebäude dort ist das Empire State Building, aus verschiedenen Gründen. Einer aber ist: Es war mein Orientierungspunkt. Ich wohnte in der gleichen Straße, morgens ging mein erster Blick aus dem Fenster immer zum Empire State. Stieg ich irgendwo in Manhattan aus der Metro, wusste ich dank des ESB immer, wo welche Himmelsrichtung ist.

Und dann fand dort noch dieser alljährliche Treppenlauf statt. Als ich dort war, 2002, zum 25. Mal. Eine Geschichte über die Läufer sollte ich schreiben. Ältester, jüngster, mit der weitesten Anreise… Und dann boten die Organisatoren mir im Rahmen der Recherche einen der Laufplätze an. Das Gebäude von einer Innenseite sehen, die für Besucher sonst geschlossen ist. Das wollte ich machen und nahm die Einladung (und Gelegenheit zu einer Reportage) sofort an.

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Mein Zimmer in Manhattan lag im achten Stock. Mir blieben nur zwei Wochen Vorbereitung, also lief ich von da an die acht Stockwerke – immer. Also erst schlich ich sie, dann wurde daraus ein kräftiges Gehen, am Ende lief ich sie.

Der Treppenlauf geht über 1576 Stufen, 320 Meter hoch und endet nicht ganz oben, sondern im 86. Stockwerk. Das würde ich nicht schaffen, da war ich realistisch genug. Aber zumindest die acht Stockwerke, die ich jetzt täglich trainierte, sollten es werden. Ich wollte wissen, wie sich so ein Lauf anfühlt.

Nunja, erstmal kribbelig im Bauch. Ich traf u.a. Chico Scimone, der 90-jährig die Teppen zum x-ten Male hoch huschte. Und Menschen, die das ganze Jahr darauf trainiert hatten, hier hoch zu laufen.

Startschuss. Die ersten Stockwerke gingen super. Dann endlich das achte Stockwerk und ich dachte, okay, das reicht. Hier breche ich ab, nehme den Aufzug, um oben die Gewinner zu interviewen.

Pustekuchen. Die Tür des Treppenhauses war verschlossen. „No Exit“, rief mir ein Mitläufer zu. Die Türen sind nur in jedem siebten Stockwerk offen, erklärte er noch weiter. Ich holte tief Luft…und rannte weiter. Okay, dann eben 14 Etagen, fordere ich meine Beine eben heraus, dachte ich.

Ich gebe zu, ich bin eitel. Zumindest in dem Maße, dass ich nicht japsend, mit rotem Kopf, vor laufender Kamera eines amerikanischen Fernsehteams aufgebe. Denn genau das stand in der Tür der 14. Etage. Interviewte vorbeigehende Läufer und feuerte an. „I’m fine“ bekam ich irgendwie raus, dazu ein verzerrtes Lächeln. Wissend, dass ich die nächste offene Tür erst in sieben Etagen erreichen würde. Ich nahm all meine Kraft zusammen und lief. Äh, ging. Vielleicht schlich ich auch. Und hin und wieder holte ich sehr tief Luft. Bis zu diesem Schild, dass mir ein echtes Lächeln entlockte.

21.
EXIT

Ich weiß nicht mehr, wie ich in den Aufzug kam. Aber ich erinnere mich daran, dort mit sehr wackeligen Beinen gestanden zu haben. Lächelnd. Triumphierend. Ich war gerade 21 Stockwerke gelaufen. Persönliche Bestleistung.

Stehe ich jetzt also morgens manchmal vor endlosen wirkenden Treppen, dann denke ich an Stock 8 und 14 und 21. Und sage mir: „Hey, das hier ist Alltag. 2 Stockwerke, das ist ein Klacks.“ Und dann geht es schon wieder für den Rest des Tages.

12 von 12

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Der große Sohn ist krank und darf heute nicht in die Schule. Das heißt, ich darf kann dann nicht zu meinem Nebenjob, der für heute geplant war. Also habe ich plötzlich mal wieder Zeit für 12 von 12 nach der Idee von Caro vom Blog Draußen nur Kännchen, dort gibt es auch die 12von12 von vielen anderen zu sehen.

Ohne Schulbeginn im Nacken beginnt so ein Morgen ja viel später, und irgendwie entspannter. So entspannt, dass ich keine Fotos mache. Aber nachdem der Jüngste in der Kita ist, gönne ich mir einen Kaffee in meinem neuen Lieblingszimmer: auf der kleinen Dachterrasse.
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Der Große kruscht so in seinem Zimmer rum und ich nutze den unerwarteten freien Vormittag für ein bisschen Hausarbeit.  Dann gehen wir zur Bilbliothek, um Bücher zurückzugeben. Klappt nie. Also das nur zurückgeben. Da wir aber noch einiges Ungelesenes zuhause haben, einigen wir uns auf einen Comic, eine DVD ( Es war einmal… lief schon bei mir damals im TV und die Jungs lieben die Reihe, vor allem das Thema Geschichte ❤). Außerdem noch eine CD mit Gedichten für Kinder. Wir haben Oliver Steller vor etwa zwei Jahren erstmals live gesehen, seitdem lieben die Jungs 1. Oliver Steller und 2. Gedichte. Aktuell Brechts Fisch namens Fasch.
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In der Bücherei meldet sich der Magen und das gesundende Kind wünscht sich rote Linsensuppe mit Würstchen.
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Während ich koche, beschäftigt ihn die Frage, wie sich Schnecken vermehren. Ja, äh…Er erinnert sich an das Beobachtungsaquarium, von dem Freunde mal erzählten, und geht sofort in den Garten, um ruckzuck 11 Schnecken zu sammeln. Leider haben wir zufällig kein altes Aquarium im Keller und das Gurkenglas ist definitiv zu klein. Okay, wir Eltern wollen weniger Süßes essen, deshalb diente die Bonbonniere zuletzt als Blumengefäß.
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Jetzt also als Schneckenheim mit einem Nylonstrumpf drüber, damit die 4 Schnecken, auf die wir uns geeinigt haben, für den Zeitraum der Beobachtung auch dort bleiben. Und sie werden liebevolle versorgt, z.B. mit Wasser besprüht und zum Essen gibt ed Apfelkitschen.
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Ach ja, im Fahrradladen waren wir auch noch.  Der Jüngste möchte nämlich eigentlich schon länger gerne Radfahren, hat aber sehr viel Respekt davor. Wir kaufen also Stützräder, weil ihm das vielleicht ein bisschen Sicherheit gibt. Kein leichtes Unterfangen, denn Stützräder werden heute kaum noch nachgefragt. Es werden doch noch passende gefunden,
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schnell dran gemacht und ab zur Kita. Mit einem großen Maß Skepsis steigt der junge Mann auf, radelt vorsichtig los, entdeckt nach wenigen Metern, wie viel Spaß es macht, Rad zu fahren, wenn man keine Angst hat. Und er wird schnell flott, ziemlich flott. Das bedeutet, ich kann in den nächsten Tagen zur Kita joggen. Yeah.
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Nach einem Abstecher zum Spielplatz und in die Sonne geht’s zum Turnen. Für Bilder haben wir keine Zeit, nur die coole Flasche, die im dunkeln leuchtet, kann ich noch festhalten.
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Zuhause gibt’s dann die letzten drei Gummibärchen, ehrlich geteilt, ich kriege die gelbe Karte.
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Dann folgt das Abendprogramm mit Zähne putzen und Co. Und natürlich vorlesen, da gibt’s hier kein drumherum. Aktuell sorgt hier Wölfchen Wolf für schaurig-schöne Stimmung.
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Und dann naht der Feierabend. Und mein aktueller Lesestoff: Pia Ziefles ‚Länger als sonst ist nicht für immer‘.
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Hach, schöner Tag. Schöner Abschluss.

Gute Nacht.

Geschwisterliebe

Er sitzt in seinem Zimmer und packt. Der Stein mit dem FC Bayern-Logo kommt in den Rucksack, was zum Lesen, der Lieblingspulli. Und das Foto, auf dem er mit seinem kleinen Bruder ist. Der Große möchte ausziehen.

Draußen regnet es. Mit dem Bruder hat er sich jetzt den halben Vormittag um Legosteine, die richtige CD, einfach alles gestritten. Und dann hab ich auch noch geschimpft. Richtig doll und laut. Jetzt reichts.

Nein, mit mir in Ruhe sprechen möchte er nicht, das er hat er schon vor dem Schimpfen durch lautes Türknallen demonstriert, daran hat sich nichts geändert. Die Mutter von Freund X schimpft nie, man darf dort im ganzen Haus mit harten Fußbällen spielen und elektronische Geräte seien immer an, bei ihnen möchte er jetzt wohnen.

Ich kenne die impulsive Seite des jungen Mannes mittlerweile genausogut wie er die Punkte, mit denen er mich innerhalb kürzester Zeit auf die Palme bringen kann. Ich weiß, er braucht jetzt die Ruhe des Taschepackens. Das Gesprächsangebot steht, wir atmen jetzt beide mal durch.

Was ich bisher nicht kannte, ist die Reaktion des kleinen Bruders. Alle Streitereien sind vergessen, er holt seinen Schlafanzug aus dem Schrank, den Kuschelbär aus dem Bett und sucht seinen Rucksack.

  

„Was machst du, Jüngster?“ „Ich ziehe mit ihm aus.“ Ich muss ganz schön schlucken, und die Tränen, die ich im Streit mit dem Großen runtergedrückt habe, kommen wieder hoch. „Ich lasse ihn nicht allein gehen, Mama. Aber ich gucke, dass wir hier in die Nähe ziehen, damit ich immer zu dir kann.“

Jetzt heule ich endgültig. Nicht wegen des impulsiven Auszugswunsches. Viel mehr, weil die beiden mir hier gerade zeigen, was ich mir immer gewünscht habe. Es war immer klar, wenn es klappen würde, dann wollen wir zwei Kinder. Der Mann, das Einzelkind, und ich, das Nesthäkchen aus kinderreicher Familie, wir wollten Geschwister-Kinder. Bruder oder Schwester, mit denen man spielen, auf Bäume klettern und im übertragenen Sinn Pferde stehlen kann. Die in Momenten da sind, wenn Eltern nicht die richtigen Ansprechpartner sind. Die eben zueinander stehen, füreinander da sind.

Wir wussten, es gibt keine Garantie, dass Geschwister so werden. Eifersucht ist immer wieder mal ein Thema. Und wir erleben täglich, dass kleine sowie große Brüder ‚total doof‘ sein können. Dass sie alles nachmachen, kaputt machen, einem das Spielzeug wegnehmen, schubsen, raufen, sich Schimpfworte an den Kopf schmeißen, dass sie irgendwas noch nicht richtig können, dass sie irgendwas einfach immer besser können. Kurzum: Brüder, ja Geschwister allgemein, können unheimlich nerven.

Aber wir erleben in unserem Alltag auch, dass der eine ungeduldig auf den anderen wartet, weil der noch bei einem Freund ist. Dass, wenn der eine sich beim Kinderarzt einen Ballon aussuchen darf, er fragt: Kann ich auch einen für meinen Bruder? Dass sie mit einer Engelsgeduld zusammen spielen können, der eine dem anderen immer die passenden Legosteine reicht. Wir sehen, wie der Kleine vom Großen das Alphabet lernt, wie der Große dem Kleinen vorliest. Wie der eine den anderen unterstützt, wenn sie nach ganz oben auf einen Baum wollen. Wir sehen, wie sie freudestrahlend zusammen die Riesenrutsche hinuntersausen und sich bei der Autofahrt über ihre Witze gemeinsam kaputt lachen.

Und dann stehen sie da und packen ihren Rucksack, um gemeinsam auszuziehen, obwohl es eben noch den Anschein hatte, dass sie sich an die Gurgel wollen. Sie stehen zueinander, wollen aufeinander aufpassen, gehören eben zusammen.

Der Kleine ist fertig mit Packen. „Geht’s los?“ fragt er den Großen. Der schaut kurz aus dem Fenster. Es regnet immer noch, der Freund ist verreist und außerdem müsste er sich dafür jetzt den Schlafanzug ausziehen. „Ich will eigentlich gar nicht von hier weg. Ich fand nur das Ausschimpfen doof“, sagt er. „Dann ist ja gut“, sagt der Kleine und packt in aller Seelenruhe wieder aus. „Können wir jetzt Kekse essen?“