Mutter, motiviert, erfahren – Über Vereinbarkeit und besondere Qualitäten

Es ist Mittwochmorgen, neun Uhr. Der Mann ist im Büro, der Große in der Schule, der Kleine in der Kita. Noch ein Kaffee, dann verlasse ich das Haus. In der Tasche die Unterlagen für meinen Termin, auf der Bahnfahrt gehe ich das geplante Interview noch einmal durch. Ich freue mich auf den heutigen Tag, bin motiviert und voller Tatendrang.

So beginnt derzeit ein Großteil meiner Arbeitstage. Ich habe das Glück, den Beruf auszuüben, den ich mir als 15-Jährige in den Kopf gesetzt habe. Und der mir auch heute noch immer unglaublichen Spaß macht, mir neben normaler Routine auch immer wieder spannende Einblicke, das Kennenlernen von engagierten und ambitionierten Menschen ermöglicht. Und das in Teilzeit, vereinbar mit meiner Familie. Mir ist bewusst, dass das ein Luxus ist und ich versuche, mir das an weniger guten Tagen auch immer wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Grundvoraussetzung für diese Zufriedenheit ist einerseits die Teilung der Familienzeit mit dem Mann. Ich arbeite die halbe Woche, an ganzen Tagen. Abends kann es dann schon mal spät werden. An diesen meinen Arbeitstagen arbeitet der Gatte reduziert, ist ab dem frühen Nachmittag bei den Kindern. Ich weiß, da ist jemand auf den ich mich zu 100 Prozent verlassen kann. Und ich kann mich dadurch wiederum ganz auf meine Arbeit einlassen.

Das wiederum weiß mein Chef, selbst Vater von zwei Kindern, ungefähr im Alter meiner beiden. Für ihn zählt meine Fachkompetenz, er hat klar zum Ausdruck gebracht, dass er mich als Bereicherung sieht. Das ist die andere Grundvoraussetzung.

Denn klar bin ich zweifache Mutter. Aber ich bin – und war es schon vor dem Mutterdasein – eine Journalistin mit guter Ausbildung. Mit Erfahrung. Ich habe über den Tellerrand geschaut, im Ausland Kenntnisse gesammelt. Ich weiß, was ich kann.

Das Erlernte und Erfahrene ist durch meine Mutterschaft nicht verloren gegangen. Umgekehrt, es ist dadurch bereichert worden. So wie andere Kollegen Qualifikationen aus ihren Lebensumständen und -erfahrungen mit sich bringen.

Seit ich Mutter bin und nur die halbe Woche arbeite, bin ich im Job gelassener.

Ich bin hoch motiviert, freue mich auf meine Aufgaben.

Ich bin natürlich auf bestimmte Arbeitstage/-stunden beschränkt, aber an/in denen bin ich 100prozentig und auch mehr für den Job da. Ich bin absolut flexibel: Von einem Moment auf den anderen alles über den Haufen werfen und neu planen? Ist mein Alltag, wie zuhause, so im Büro. Dinge übernehmen, die neu sind, einspringen, auch wenn es nicht mein expliziter Bereich ist? Kann ich. Ich traue mich, Dinge zu hinterfragen. Ich habe durch die Kinder auch neue Blickwinkel entdeckt.

Ich kann organisieren, abgeben und delegieren, weiß, wann ich Hilfe brauche und wem ich welche wie anbieten kann. Gegebenenfalls mache ich mehrere Projekte gleichzeitig.

Ja, natürlich kann eines meiner Kinder spontan krank werden. Dann müssen mein Mann und ich schauen, wie wir das organisieren, wer von uns eher daheim bleiben kann, wer ggf. auf diesem Wege Überstunden abbaut. Denn über die verfügen wir beide in nicht geringem Maße. Auch meine Kollegen/ Kolleginnen werden mal spontan krank. Und ich habe berufstätige Väter im Büro, die auch mal zuhause bleiben müssen, wenn das Kind Fieber hat. Wir müssen in den Ferienzeiten Urlaub nehmen, Betriebsausflüge von Kitas oder pädagogische Tage der Schule abfangen. Aber das ist alles eine Frage der Organisation und Absprache. Zuhause wie im Büro.

Als ich während meines Studiums, nebenbei in einer Redaktion arbeitend, meinen damaligen Lokalchef fragte, ob er mich bei der Bewerbung um ein Volontariat unterstützen würde, sagte er nur: „Du bekommst doch irgendwann Kinder. Das wäre verschenkt.“ Ich habe mich geärgert, hielt es aber auch für eine Altmännereinstellung. Ich sollte dazu lernen.

Als ich Jahre darauf meine 1. Schwangerschaft meinem damaligen Chef mitteilte, reagierte er mit einem: „Sie wissen doch, dass dieser Beruf nicht mit Kindern vereinbar ist. Vielleicht, wenn sie freiberuflich ein bisschen nebenher arbeiten.“ Meine Idee, nach neun Monaten, spätestens einem Jahr, wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren, konterte er mit: „Warten wir mal ab, ob die Geburt gut verläuft. Und wie es dann um ihre Muttergefühle steht.“ Mein Mann wurde nie nach seinen Vatergefühlen gefragt.

Und es sind bei weitem nicht immer nur alte Männer, die Mütter als Belastung sehen. Für eine ehemalige Chefin von mir sind Mütter in ihrem Büro absolut unmöglich. Und an einem ehemaligen Arbeitsplatz mit feministischem Hintergrund wäre eine Mutterschaft unvereinbar gewesen. Ich weiß also, auf welche Vorbehalte Frau und Mutter stoßen kann. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, habe Wege und letztendlich sogar entsprechende Vorgesetzte gefunden. Was kraftzehrend sein kann, aber sich allemal lohnt. Umso mehr ärgern mich Einstellungen wie diese, die Fräulein 0.2 nun traf:

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Mein Mutterdasein ist im Büro selten Thema. Höchstens in dem Maße, in dem bei meinen männlichen Kollegen das Vatersein Thema ist. Aber auf keinen Fall möchte ich verschweigen müssen, dass ich Mutter bin.

Denn, liebe Arbeitgeber, Mütter im Job sind keine Belastung oder gar unnütze, Problem bereitende Arbeitnehmer. Mütter können einen Betrieb bereichern, eine Chance sein. So wie jeder gute Mitarbeiter/ jede gute Mitarbeiterin, die eigene Qualitäten in den Beruf mit einbringen.

Und Vereinbarkeit ist eigentlich immer machbar. Es bedeutet viel Organisation, ist nicht immer einfach. Aber es geht: Vorausgesetzt, beide Seiten wollen es und gehen flexibel und offen aufeinander zu.

Das lästige Handgepäck

Ich packe meinen Koffer. Und die Tasche der Kinder. Die wiederum packen ihre Rucksäcke.

Vier Tage Holland im April, Mama und die Jungs und die Teenie-Nichte. Ich komme mir vor, als würden wir drei Wochen verreisen. Warme Pullis. Shirts. Sportschuhe. Badesachen. Gummistiefel. Dicke Jacken. Dünne Jacken. Jede Menge Gepäck eben.

Und dann ist da noch mein Handgepäck. Der Feind jeden Urlaubs. Die Tasche mit den Erwartungen. Zum Beispiel ausgelassene Kinder gehören dazu. Die begeistert toben, spielen, den ganzen Tag draußen sind und abends erschöpft und total müde unter der Bettdecke verschwinden. Jede Menge Spaß ist dabei. Auf Trampolinen hüpfen, Fußball spielen, durch den Wald laufen, Füße in den kalten See tauchen. Vla essen. Viel Lachen, herumalbern. Die Vorstellung trotzalledem auch ein bisschen Zeit für mich zu haben, in meinem Buch weiterzulesen. Durchzuatmen, aufzutanken.
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Ganz unten im Handgepäck sind dann noch die Befürchtungen. Streitende Kinder (davon hatten wir an Ostern ausreichend Kostproben). Strapazierte Nerven. Schlechtes Wetter. Nicht durchgeschlafene Nächte in fremder Umgebung. Unausgeglichen oder gar ungerecht sein.

So, und jetzt soll das ganze Gepäck ins Auto. Ein bisschen Verpflegung natürlich auch noch. Und selbstredend die Nichte samt ihren sieben Sachen.

Ich glaube, das Handgepäck muss jetzt einfach dem Platzmangel weichen. Erwartungen und Befürchtungen einfach zurücklassen? Ich könnte es ja mal versuchen. Los fahren und gucken was kommt. Klingt eigentlich ganz gut. Ich kann nichts versprechen, aber ich versuche es.

Wir sind dann mal weg.

Wo bitte ist die nächste Tankstelle?

Es ist jetzt ziemlich genau zwei Jahre her, da kam ich von meiner Mutter-Kind-Kur zurück. Drei Wochen Auszeit von Alltag, Job, Zuhause. Drei Wochen sich selber in den Mittelpunkt stellen, auf den eigenen Körper achten, Sport machen, drei geregelte, warme Mahlzeiten am Tag, weil die Kinder in ihrer Gruppe aßen.

Ich gebe zu, es hat einige Zeit gedauert, bis mich der Gatte und eine Freundin überzeugt hatten, die Kur zu beantragen. Man hört ja meist nur Schlechtes. Kinder, die sich nicht wohlfühlen. Magen-Darm oder sonstige schreckliche Viren, die einem den Aufenthalt verderben. Gruppenkoller nach drei Wochen mit lauter Müttern und Kindern, die man nicht mag.

Ich hatte Glück. Und eine gute, für mich genau passende Kurklinik-Empfehlung. Die erste Prämisse hier war: Sie sind in einer Mutter-Kind-Kur. Es dreht sich hier also ersteinmal um Sie. Wobei, dass sei gleich eingefügt, die Kinderbetreuung war toll, eine Grundvoraussetzung für entspannte Mütter. Meine Jungs reden heute noch mit Begeisterung von ihren Erzieherinnen, den Dingen, die sie getan und erlebt haben. Und ja: Ein Erkältungsvirus hat mich und den Jüngsten ein paar Tage heftig gequält. Aber im Gegensatz zu daheim musste ich mich um nichts kümmern. Mir wurde Essen ins Zimmer gebracht, die Kinderärztin war im Haus, die Kita des Großen ebenso. Und auch nachts war eine Krankenschwester im Notfall erreichbar. Und nicht zuletzt: Ich habe dort zwei tolle Freundinnen kennengelernt.

Das Wichtigste, was ich aber aus dieser Zeit an der Ostsee mitgenommen habe, ist, auf meine Bedürfnisse zu achten. Klappt zugegebenermaßen nicht immer, aber dafür habe ich meine Kladde mit den Kur-Erinnerungen. Ermahnungen wäre vielleicht das bessere Wort.

Damals ging mir nach fünf Jahren Schlafmangel einfach die Kraft aus. Mein Immunsystem nahm -im negativen Sinne – mit, was es kriegen konnte. Das war ich, die immer fitte, nicht gewohnt. Selbst wenn ich die (kinderfreie) Gelegenheit hatte, durchzuschlafen, mein Körper verweigerte mehr als vier Stunden Schlaf. Ich lag einfach wach. Deswegen dachte ich auch, als ich die Kur antrat, das Einzige was mir fehlen würde, wäre Schlaf.

Aber ich habe gelernt. Es war nicht der Schlaf, der fehlte. Sondern das Runterkommen, Abschalten, Auftanken. „Suchen Sie sich ihre persönliche Tankstelle“ war der beste Rat, der mir mitgegeben wurde. In der Kur war es die Ostsee. Laufen am Strand, danach fühlte ich mich gestärkt.

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Zuhause habe ich auch eine Tankstelle gefunden. Mir wurde schon während der Kur klar, wo sie liegen würde. Am Wasser, genauer gesagt am Rhein. Als der Große frisch geboren war, habe ich hier ständig unbewusst getankt. Spazierengehen und wenn er friedlich schlief, einfach auf eine Bank setzen und Wasser, Sonnenstrahlen, Wind genießen. Aber der Alltag holt einen eben schnell ein. Ob nun mit Kindern oder ohne.

Wenn es jetzt mal wieder ein bisschen viel wird, wie in der vergangenen Woche, das Ich hinter den Ferientagen der Kinder, den Terminen des Mannes, den Anforderungen im Büro, dem tollen zusätzlichen Auftrag, den man nicht ablehnen kann und möchte, zurückfällt, dann brauche ich einen Zwischenstopp an meiner Tankstelle.

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Einfach auf einen dicken Stein ans Wasser setzen. Luft holen. Wellen zuhören. Sonne ins Gesicht scheinen lassen. Es gibt für mich nichts Besseres.

Funktioniert übrigens auch mit den Kindern. Denn beide lieben die kleinen Buchten am Rhein, kennen keinen schöneren Spielplatz. Hier kann man in Bäumen klettern, als Pirat vorbeifahrenden Schiffen auflauern, nach angeschwemmter Beute suchen, Dämme bauen.

Und dann ist mein Akku wieder für eine gewisse Zeit voll. Mal mehr, mal weniger. Ich muss mich daran erinnern, manchmal auch ermahnen. Aber es tut mir so gut. Und allen anderen um mich herum ebenfalls.

Einen schönen Start in die neue Woche, mit hoffentlich vollem Tank!