Als ich das zweite Mal schwanger, der Bauch erkennbar, eine anfängliche Komplikation überstanden war und wir uns einfach nur auf unser zweites KIND freuten, da wurde ich persönlich erstmals auf extreme Art mit den Jungen-Mädchen-Klischees konfrontiert.
„Weißt du schon, was es wird? Noch ein Junge? Oh, das tut mir leid.“
„Ach, ihr wollt ja sicherlich noch ein drittes. Das wird dann bestimmt ein Mädchen!“
Wie bitte?
Ich hatte mich nicht verhört. Als ich das „tut-mir-leid-wie-schade“ ein zweites Mal hörte, war ich gewappnet. Schlagfertiger. „Wir bitten von Trauerbekundungen Abstand zu nehmen“, habe ich geantwortet. Nein, so sei das ja nicht gemeint gewesen, ich wäre da wohl etwas empfindlich (Hormone!). Aber Jungen seien nunmal eben sehr wild, laut, machten mehr Schmutz und Ärger, es gehe mehr kaputt. Und wenn sie erwachsen seien, dann würden sie sich nicht melden, kümmern würden sich ja immer nur die Töchter.
Als der Große zuletzt eine AG in der Schule wählen konnte, war er ein bisschen unschlüssig. „Ich würde das gern machen. Aber Jungen machen da nicht mit, oder?“ Es ging um die Töpfer- AG.
Seit wann ist das eigentlich (wieder) so, dass Mädchen niedlich, brav, sauber und das „schwache Geschlecht“ sind/sein sollen? Und Jungen sind laut, wild, dreckig, anstrengend, aber so werden sie eben zum „ganzen Kerl“? Kommt es mir nur so vor, oder wird die klassische Rollenzuteilung wieder stärker?
Als vor kurzem die Klassenfotos in der Schule des Großen gemacht wurden, habe ich sie mir genau angeschaut. In seiner Klasse haben alle Mädchen zumindest schulterlange Haare oder länger. Immerhin 2 von 9 trugen dunkelblau, der Rest rosa und/oder Kleid. Bei meinem Erstklässlerfoto von 1979 muss man dagegen schon ganz genau hinschauen, welches Kind ein Junge, welches ein Mädchen ist. Alle trugen Hosen und Rollis, blau, gelb, rot. Kein rosa. Und die meisten hatten geschlechtsneutral den gleichen Topf-Schnitt.
Heute ist alles genau unterteilt: Überraschungseier, Legosteine, Fahrrädchen. Jungs hellblau, Mädchen rosa (Lesenswert dazu: ich-mach-mir-die-welt.de). Jungs aufgeweckt, robust, wild und laut. Mädchen zurückhaltend, zart, leise bastelnd. Lässt sich prima vermarkten und es wird ja gekauft. Kinder werden früh, manchmal unbemerkt (und da schließe ich mich mit ein), in Klischees gepresst.
Wir haben zwei Kinder. Die völlig unterschiedlich sind. Der eine baut gerne und schlüpft in verschiedene Rollen. Der andere spielt versunken mit kleinen Figürchen. Der eine kann stundenlang filigrane Dinge basteln, für die meine Fingerfertigkeit und Geduld lange nicht ausreichen. Der andere malt und knetet ausgiebig. Beide toben, raufen und tollen wild herum. Beide lauschen ganz andächtig, wenn man ihnen Geschichten vorliest. Und ja, beides sind Jungen.
Mehr noch: ich glaube, auch wenn ich eine Tochter hätte, würde sie gern mit mir durch Pfützen hüpfen, Kissenschlachten machen, auf dem Sofa Trampolin springen. Ich würde ihr genauso Geschichten von Pippi Langstrumpf und Jim Knopf vorlesen. Das hat nichts mit Geschlecht, eher mit – nennen wir es eine Art Temperament – zu tun.
Und nein, ich sehe mich nicht als „Jungenmama“. Denn ich glaube im Umgang mit meinen Nichten war ich -was wild, laut, verrückt angeht – nicht anders, als jetzt gegenüber meinen Söhnen.
Rosa gehörte noch nie zu meinen Lieblingsfarben. Ich selbst habe mit Barbies gespielt, aber auch mit Lego. Das war damals allerdings noch unisex. Ich habe Hanni und Nanni gelesen. Aber auch fünf Freunde und die Drei ???. Meine Lieblingsfilmfigur war erst Luzie, der Schrecken der Straße. Später „Die rote Zora“. Ich war keine Pferdenärrin (im Gegensatz zu meinem Bruder, der begeisterter Reiter war), habe aber mit Leidenschaft Jazztanz gemacht. Und war wie mein Bruder Fortuna Düsseldorf-Fan.
Was ich damit sagen will, ist: Es sind Kinder. Sie sollen sich entfalten, ausprobieren, entdecken. In freien Bahnen, nicht nach rosa und hellblau unterteilt. Ihre Möglichkeiten ausschöpfen, für sich das Richtige finden. Ob es nun Fußball, Tanz, Musik oder Malerei ist. Sich nicht rechtfertigen müssen, dass sie etwas tun, obwohl sie doch Junge oder Mädchen sind. Nicht in Rollen gedrängt werden, die sie von vorneherein einschränken. Dabei geht es nicht um Gleichmacherei. Sondern um Vielfalt. Und um Selbstbewusstsein, denn das gehört heute dazu, wenn man seinen Weg gehen will.
Im Töpferkurs sind übrigens drei Jungen und neun Mädchen. Und es macht allen richtig Spaß.
Als Vater von drei Jungs und eher humorvoller Glossist möchte ich mich nicht so sehr ernsthaft zum Thema äußern. In einem Punkt allerdings schon. Das eine ist das Geschlecht, das andere die Individualität der Kinder. Und das macht eine Familie so bunt und vielfältig. Das mit dem Geschlecht ist m.E. wirklich zweitrangig. Übrigens waren/sind die Lieblingsfarben der der Jungs grün, braun und lila. Was geschlechterunspezifisch atypisch ist. Alles Gute mit den Zweien, vielleicht wird es ja noch ein Dritter 😉
Tja, Mädchen lieben glänzendes rosa Zeug, meine Tochter weigert sich ihre Haare kürzer schneiden lassen und verlangt nach Kleidern, die sie in die Kita anziehen kann, eine Jeanshose ist für sie fast ’no go‘. Sie liebt Schuhe und zieht sich sogar zu Hause schick an. Und sie mag es sauber zu sein. Habe schon ein schlechtes Gewissen, aber mit Erziehung hat das nichts zu tun. Na ja, zumindest ist ihr bester Freund ein Junge und sie spielt mit ihm ziemlich wild 🙂 Ich versuche sie ‚zweifarbig‘ zu erziehen, aber es ist nur ihre Wahl, ob sie rosa Kleidchen trägt oder nicht
Also meine beiden Mädchen waren beim ersten Kinderfasching des Jahres noch begeisterte piraten. Die Große musste leider beim zweiten eine „RosaKitschPrinzessin“ sein, da sie von andern Mädchen zu hören bekam, „Dürfen Mädchen sowas überhaupt anziehen? “ Denke es ist nicht alles Erziehung, aber je mehr Medial und durch Rosa/Blau Teilung im Spielzeug und in der Werbung auf sie eingewirkt wird, desto eher kriegen sie das Gefühl, dass es nicht anders geht oder so sein sollte.
Man kann versuchen den Kindern vorzuleben, zu zeigen, rosa geht auch für Jungs, Piratinnen sind cool. Aber der Druck und die Einflüße von außen sind eben enorm, das nervt mich ja so sehr. Im Kindergarten sind alle eben Prinzessin und im Spielzeugkazalog/-laden ist schon alles schön ordentlich vorsortiert. Dagegen zu halten ist nicht immer einfach. Aber lohnenswert, wie ich finde.
Manchmal ist es ja auch eine Phase. Unsere wollten eine zeitlang nicht aus dem pinken Becher trinken, weil er für Mädchen sei. Es kommt eben nicht nur von der Erziehung, sondern gerade von außen und am meisten nervt es, wenn es aus reinem Kommerz an sie herangetragen wird, lässt sich alles so gut vermarkten. Da ist es dann eben Aufgabe der Eltern, entgegenzuwirken, finde ich.
Der pinke Becher ist mittlerweile wieder ganz normal im Gebrauch 😉
Super toller Artikel. Mir ist es am Anfang genau gleich gegangen nur das ich zwei Mädchen habe…………….
Sie sind manchmal wild und laut aber manchmal auch glitzerig und angepasst. Ich habe aber schon zu hören bekommen ob ich wirklich zwei Mädchen habe nur weil nirgends typisches Mädchenspielzeug (rosa und Barbies) zu sehen war. Bei uns gibt es alles vom Barbies über Lego bis zu unheimlich viel Bastelmaterial.
Un das von Mädchen sind leise und Jungs sind laut ist für mich definitive ein Klischee. Die Kinder sollen wenn immer möglich das tun können was ihnen Spass macht. Was nicht immer ganz leicht ist. Und ja manchmal braucht es die Bestätigung wenn du das machen willst dann mach das egal ob dies nur Jungs bzw. Mädchen machen. Wenn du das willst dann kannst du das gerne machen. Dies Hilf bei uns öfters da bei der Grösseren in der Klasse 7 Mädchen und 14 Jungs sind.
Danke. Unsere sind auch immer schon mit Mädchen befreundet und hatten nie Probleme, gemeinsame Spiele zu finden!
Wir erwarten auch unseren 2. Jungen und 80% der Reaktionen war: „Naja, ihr habt ja noch einen Versuch.“ – was mich schon sehr irritiiert hat – warum soll man sich nur mit einem Pärchen als komplette Familie fühlen? Und überhaupt: woher nehmen die Leute die Berechnung, dass es nach zwei Jungs sehr wahrscheinlich ist, dass das 3. Kind dann ein Mädchen wird?
Vielen Dank für deinen Artikel :).
LG
Eben. Dieses Bild: vierköpfige Familie, ein Junge, ein Mädchen, das sitzt einfach sehr tief. Alles Gute und ein spannende Zeit, wenn der kleine Bruder da ist!
Heute meinte eine Kundin:“ zu mir stellen sie sich vor ich bin wieder schwanger. Diesmal Gott sei Dank ein Junge.“ Auf meinem Hinweis ich kenne kein süßeres Mädchen das so mit Hingabe mit dem Puppenwagen spazieren geht und dann wieder so wild ist und auf dem Spielplatz die hohe Leiter hinaufklettert- wieso Gott sei Dank ein Junge? Da meinte sie wegen den Eltern, Schwiegereltern, Nachbarschaft usw… alle sagen doch immer das beste ist ein Pärchen.
Ich bin 1980 geboren und muss sagen das ich nie ein Mädchen war, dass in rosa herum gelaufen ist oder mit Barbies gespielt hat. Ganz im Gegenteil. Ich fand Playmobil immer besser und hatte eine Menge davon. Das wurde dann auch mit draußen geschleppt, stundenlang bespielt und tolle Szenen aufgebaut. Mit 13 bekam ich meine erste Barbie und die war ehrlich gesagt nicht lange aktuell. Rosa Klamotten trage ich bis heute nicht. Bin ich ein untypisches Mädchen gewesen??
Ja die Rollenklischees werden schon seit Jahren wieder viiiel mehr. Wenn ich mir meine Kindheitsbilder aus den 80er und 90er Jahren anschaue, dann war da nicht diese rosa/blau Demarkationslinie und auch sonst wurde nicht so viel Gebläse um das Geschlecht gemacht.
Mich nervt das schon seit Jahren entsetzlich! Und wenn ich dann schon höre „ich kann ja nix dafür, das kommt vom Kind ganz allein“… so ein Quatsch! Da kommt nicht, von innen heraus, sondern weil die Kleinen von Anfang an damit konfrontiert werden. Kleidung, Kuscheltiere, Spielzeug, Bücher, Werbung. Und selbst wenn man selbst das nicht so fördert, dann tut es das genug das Umfeld. Ich selbst mag meiner Püppi auch gerne Kleider anziehen, aber auch Hosen. Rosa ist im Schrank – als eine von vielen Farben. Puppen sind gezielt abseits der Rollenklischees ausgewählt und es gibt auch Traktoren, wilde Tiere usw. Meine Terrorpüppi soll nach Möglichkeit selbst herausfinden, was sie mag und deshalb steuere ich, soweit es in meiner Macht liegt, gegen zu viel Schlagseite gen Rosa/Glitzer/Rüschen.
Das Leben ist BUNT und ich möchte es ihr in allen Facetten zeigen.
Ein super Artikel, es ist wirklich schwer für Mädchen etwas zu finden, das nicht rosa ist. Die Kleine ist laut, frech und wild und mein Großer liebt dafür Nagellack und will Kleider anziehen. Alles gar nicht schlimm für mich, aber anscheinend für andere sehr.