Ordnung ist das halbe Leben, heißt es. Gut. Wir leben in der anderen Hälfte.
Sollte ich für mich typische Eigenschaften nennen, „ordentlich“ oder „ordnungsliebend“ wäre mir nie eingefallen. Man darf meinem Zuhause ansehen, dass ich darin lebe. Es ist kein Museum. Die Zeitung liegt so auf dem Tisch, dass man erkennt, dass sie intensiv gelesen wurde. Meine Tee- oder Kaffeetasse, je nach Gemütszustand, darf rumstehen. Sie sollte eh immer einsatzbereit sein.
Aber seit ich Kinder habe, merke ich, im Großen und Ganzen bin ich eigentlich gern ein aufgeräumter Mensch. Ich möchte meine Sachen so zusammenlegen, dass ich sie ohne langes Nachdenken finde. Die Armbanduhr auf meinem Nachttisch. Der Schlüssel am entsprechenden Bord. Die Büchereikarte an ihrem Platz.
Und dann betrete ich das Kinderzimmer.
Meine Kinder sind Sammler. Als Berufswunsch hat der Große mal „Sachensucher“ angegeben, wie Pipi Langstrumpf. Er sieht alles. Den Knopf auf der Straße, den Würfel an der Bushaltestelle, die Papageienfeder im Gebüsch. Und alles kann er gebrauchen. Der Kleine liebt Steine und Stöcke. Da die nicht alle im Haus Platz finden würden, liegt in der bepflanzten Parzelle vor der Haustür mittlerweile eine Stockfamilie.
Wir haben durchaus ein ausgeklügeltes Aufbewahrungssystem. Spezielle Schatzkisten für die Fundsachen. Eine Kiste für Lego, eine Kiste für Playmobil. Die großen Autos in einer weiteren. Die Bücher haben im Regal Platz. Puzzle und Spiele an anderer Stelle u.s.w.. Nur leider hält dieses System dem Spielverhalten der Jungs nicht stand.
Beispiel gefällig? Am Wochenende sahen wir zufällig die ersten Kirmeswagen anrollen. Bald ist am Rhein Osterkirmes, die Fahrgeschäfte wurden aufgebaut. Spannend. Wir haben ein bisschen zugeschaut. Und zuhause wurde gleich selbst eine Kirmes aufgebaut. In harter, akribischer Arbeit. Die Holzeisenbahn diente als Achterbahn. Ein mit Rettungsfolie überzogener Karton (Überbleibsel vom Ägypten-Geburtstag, der nicht weggeworfen werden darf) wurde – bestückt mit Schuhen und Plüschtieren – zum Autoscooter. Die Playmobilfiguren standen schon Schlange. Aus Lego wurde noch ein Kinderkarussell gebaut. Zum Entspannen hatte der Kleine noch eine Leseecke in die Kirmes integriert. Das ganze wird ausgiebig bespielt. Und muss natürlich stehen bleiben, bis der Papa es auch gesehen hat. Und gerne auch länger.
An guten Tagen sehe ich die Kreativität, den Ideenreichtum, die Leidenschaft, die Detailverliebtheit. Natürlich soll mühevoll aufgebautes nicht gleich weggeräumt werden. Aber. An schlechten Tagen trete ich aus Versehen auf ein Legobauwerk, weil man nirgendwo mehr stehen kann (Schmerzensschreie der Mutter werden abgelöst vom Weinen der jungen Bauherren). An schlechten Tage sehe ich nicht die liebevoll gebastelten Kirmesschilder, sondern die auf dem Boden liegenden Stifte und die Schere. Neben den übriggebliebenen Schnipseln. Dann frage ich mich, warum man alles ausschütten muss, nicht in den Mülleimer räumen kann und wer bitteschön auf die verrückte Idee kam, dass Playmobilfeuerwehrleute abziehbare Minihandschuhe tragen und dass selbst diese Minifuzzi-Visiere von den Helmen ablösbar sein müssen.
Dann frage ich mich, wo all meine Aufforderungen, Erklärungen, Bitten, Ermahnungen denn wohl hin verhallt sind. Bevor man ein neues Spiel aufbaut, räumt man das andere erst einmal weg. Pustekuchen. Erziehung ist Vorleben, heißt es so schön. Aber daran kann es nicht liegen, denn der Mann und ich räumen – vor allem seit wir Kinder haben – gerne auf. Wir haben auf unterschiedlichste Art probiert zu vermitteln: spielerisch, als Wettbewerb verpackt, mit Schimpfen und auch schon mal mit der blauen-Mülltüten-Androhung. Mal funktioniert es, meist verhallt es. Und dann gesteht man sich eben ein: hier bin ich wohl gescheitert, mit meinem Latein am Ende.
Das Interessante ist dann aber: wenn man den Kleinen in der Kita abholt, dann ruft er einem gerne zu: „Ich muss noch eben aufräumen“. Und wenn man mal in der Schulmensa zum Essen eingeladen wird, sieht man, wie der Große ohne jegliche Aufforderung den Tisch abräumt und anschließend noch abwischt.
Es geht eben doch. Nur nicht unbedingt zuhause. Oder anders als man denkt.
Als ich kürzlich dem Kleinen sagte, er solle jetzt doch endlich mal aufräumen, da war das Zimmer nach zehn Minuten blitzblank. Die Spielteppiche samt Spielzeug lagen ordentlich zusammengerollt in den Ecken. Da musste ich mir doch wieder eingestehen: Sie sind vielleicht nicht ordentlich, aber Ideen haben sie.
Ich versuche also mehr das Kreative zu sehen. Und wenn man in die Hocke geht, hat man manchmal einen anderen Blickwinkel. Dann hat das Chaos sogar irgendwie System. Meistens hilft auch: Atmen. Und die Frage: Wie ordentlich müssen Kinder sein?
So. Jetzt habe ich mir genug Mut angeschrieben. Jetzt wage ich mich ins Kinderzimmer. Ich erwarte ein Höchstmaß an Ideenreichtum. Eine große Beobachtungsgabe, gepaart mit detailverliebtem Nachspielen des Gesehenen. Gestern war in unserem Viertel Sperrmüll.
Dieser Blogbeitrag ist auf Anregung von @aluberlin und ihrer Blogparade #geschichtenvomscheitern entstanden.
Ich habe auch schon lange vor dem Chaos kapituliert… besonders im Kinderzimmer. Und sowieso im Haushalt. Der bodenlose Wäschekorb. AAAH. Über meine Kapitulation hatte ich übrigens mal hier: https://ganznormalemama.wordpress.com/2014/12/05/wenn-zwei-kinder-spielen-oder-wieso-aufraumen-einfach-uberschatzt-wird/ geschrieben, wenn Du lesen magst 🙂
Ich finde ja auch das Kreativität aus Chaos entsteht. Ich sehe da kein scheitern, sondern ganz cooole Gelassenheite. : ) Danke schön für deinen Beitrag.
Dank zurück für die schöne, vielfältige Blogparade. Ich finde generell, dass Scheitern heute oft nur negativ gesehen wird. Dabei kann man daraus oft im Endeffekt viel ziehen, so dass es doch eigentlich positiv bewirkt und auslöst.