Schule aus. Ferien. Endlich Ferien. Alle Schulhefte wurden sofort weggeräumt, der Ranzen in den Keller verbannt. Sechs Wochen nicht mehr lernen, hurra!
Die Erleichterung zum Ende des vierten Schuljahres war dem 10-Jährigen anzusehen. Endlich vorbei.
Das letzte Halbjahr an der Grundschule wog schwer auf den zarten Schultern. Es war geprägt vom Thema Abschied, sich trennen von allem Vertrauten, von Lehrerinnen und Erziehenden, und noch schwerwiegender – von Freunden. Der bevorstehende Wechsel auf die weiterführende Schule überschattete das Frühjahr. Der Unterricht in diesem Halbjahr wiederum war geprägt von – Wiederholungen. Das Einmaleins in verschiedensten Varianten, Aufsätze über zurückliegende Wochenenden, englische Vokabeln vom Hobby bis zur Wegbeschreibung: Lernen fühlte sich für den Sohn an wie das Kauen eines alten Kaugummis, das schon lange seinen Geschmack verloren hatte. Hausaufgaben wurden zum Kampf um Zeilen, Buchstaben, Zahlen. Bloß nicht mehr machen als nötig.
„Schule ist lang. Und weilig.“ Der Satz des großen Sohnes hat sich bei mir eingefressen. Wo war dieser neugierige Kerl hin, der vor vier Jahren so begeistert seiner Einschulung entgegen gefiebert hatte? Dann mischte sich die Sorge kleinlaut dazwischen: Wie wird das wohl an der weiterführenden Schule, wenn die Anforderungen höher werden?
Aber jetzt sind erstmal Ferien. Wir haben uns fest vorgenommen, den Gedanken an Schule und Unterricht zu verdrängen. „Jetzt wird nichts mehr gelernt. Überhaupt nichts“, so der Beschluss des 10-Jährigen. Aha.
Stattdessen soll ein Traum in Erfüllung gehen. Seit rund eineinhalb Jahren spricht er davon, dass er auch mal weiter weg reisen möchte. Am liebsten in eine große Stadt. London, Rom oder Paris, das wäre toll. Er hat sogar dafür gespart. Der letzte Stubs kam dann von einer Bekannten, die längere Zeit in London gelebt hat, ein günstiges Hotel empfahl und von der Begeisterung ihrer Kinder für die Stadt erzählte. Spontan habe ich für den Sohn und mich ein London-Wochenende gebucht.
Der Große fiel mir um den Hals, hüpfte durchs Zimmer, jubelte und tanzte. Er erzählte jedem, der davon hören wollte (oder auch nicht) von seinen Reiseplänen.
Tower und Tower Bridge, Buckingham Palast und ein Fußballstadion – so dachte ich, würde er denken. Er hörte plötzlich wieder längst aussortierte CDs der Olchi-Detektive, deren Fälle immer an der Themse spielen. Er holte die ausgelesenen Harry Potter – Bände wieder hervor, unterhielt sich mit Papa, Freunden und Verwandten über die Stadt. Er saugte jede Information über London auf, die er bekommen konnte. Als er mir seine konkreten Reisepläne vorstellte, klappte mir entsprechend erstmal die Kinnlade nach unten.
Klar, Buckingham Palast und Big Ben, Tower und Tower Bridge stehen auf der Liste. Und natürlich ein Fußballstadion. Aber sein Plan enthält weit mehr. Der Sohn möchte durch den Tunnel unter der Themse hindurchgehen (von dem ich bisher gar nichts wusste). Er möchte mit einem Bein auf der westlichen, mit dem anderen auf der östlichen Hemisphäre stehen und deswegen unbedingt nach Greenwich zum Nullmeridian. Er möchte Fish and Chips essen, weiß plötzlich Ungeahntes über die Kronjuwelen der Queen, erzählt mir von ehemaligen Herrschern, um mir kurz darauf den Linksverkehr zu erklären.
In der Bank haben wir vorab schon mal ein paar Pfundnoten getauscht. Jetzt übt er das Wechselkurs-Einmaleins, damit vor Ort ein schnelles Umrechnen klappt. Der Stadtplan von London ist quasi zur Bettlektüre geworden, er plant Routen, prüft die U-Bahnstrecken. Nein, er lernt nicht, wo denken sie hin. Er bereitet sich auf London vor.
Das Einmaleins hat plötzlich einen Sinn bekommen, ebenso die englischen Vokabeln und die Wegbeschreibungen, die Bestandteil der letzten Deutscharbeit waren.
Meine Kinder würden es nie sagen, aber sie sind total lernbegierig. Oder besser: wissbegierig. Sie wollen die Welt entdecken, erkunden, erforschen. Das geht am besten ganz praktisch – planen, anfassen und ausprobieren.
London ist da nur ein Beispiel. Aber wenn ich dem Großen sagen würde, dass er bisher jeden Tag in den Ferien gelernt hat, würde er mich nur ungläubig anschauen. Lernen heißt auch, aber eben nicht nur, in Bücher schauen oder manchmal gar unliebsames Auswendiglernen.
Lernen ist viel mehr auch, bei nächtlichem Blitz und Donner zusammenzusitzen, Sekunden zu zählen, über Schallgeschwindigkeit zu reden und die Entfernung des Gewitters zu berechnen. Lernen ist auch, unter freiem Himmel zu schlafen und den Sternenhimmel zu bestaunen. „Ist das da der große Wagen?“ Lernen heißt auch, auf den Körper zu hören, sich auszuruhen und sich dabei schrecklich zu langweilen. Um dabei dann plötzlich die Idee für eine Geschichte über einen kleinen Jungen und dessen magische Sportschuhe zu haben, die man sofort aufschreiben muss.
Die Hälfte der Ferien hier sind mittlerweile um. Das Geschichtenheft hat der Große aus den verbannten Schulsachen wieder hervorgekramt. Er muss da unbedingt etwas aufschreiben, sonst vergisst er die Idee noch. Das Englischheft hat er bei der Gelegenheit gesehen und auch mal kurz durchgeblättert, nur so, natürlich.
Denn gelernt wird hier in den Ferien nicht. Rein gar nichts. Und das ist so genau richtig.
Mit diesem Text bewerbe ich mich für den scoyo ELTERN! Blog Award 2018. Ich freue mich, wenn ihr mir die Daumen drückt!