Ein Kasten voller Sand, ein kleines Teesieb und unzählige kleine „Edelsteine“. Beim Tag der offen Tür von Abenteuer Lernen hätte ich unseren Großen dort den ganzen Tag abgeben können. Der Rabauke, der so gern tobt und Spaß an Experimenten hat, wollte nur noch nach Schätzen graben. Und an diesem Abend im Herbst verkündete er mir dann: „Mama, ich will einen Ägypten-Geburtstag. Mit Ausgrabungen und Toilettenpapier-Mumien-wickeln.“
Mittlerweile ist es Winter, der Geburtstag steht vor der Tür und für K1 ist immer noch klar, es soll eine Mottoparty ins Land der Pharaonen werden. Und um noch ein paar Ideen zu sammeln, verbanden wir das Planen mit einem Ferienausflug ins Ägyptische Museum der Universität Bonn. Mit der Straßen-/U-Bahn ging es also in die Innenstadt, wir kamen aus der Haltestelle und standen direkt vor der schönen Universität Bonn.
„Was ist eine Universität noch einmal, Mama?“ Ich erzähle vom Studieren nach der Schule, von verschiedenen Berufen, die man so erlernen kann, erzähle von meinem Studium. „Hier lernen also ganz viele?“ Ich habe mir bei der Frage nichts gedacht, sie bejaht. Aufgeregt, dachte ich, hielt er meine Hand.
Im Museum schaute er sich neugierig um, ließ sich die Erklärungen für Kinder vorlesen, saugte vieles auf wie ein Schwamm. Aber mir fiel auch seine Nervosität auf. Eine Gruppe Kinder, die an einem Workshop teilnahm, scherzte. Lautes Lachen im Raum. Der Große zuckte zusammen, beobachtete sie. Jaja, alles in Ordnung versicherte er.
Wieder draußen mussten wir auf dem Weg zur U-Bahn an ein paar Teenies vorbei, die übriggebliebene Knaller in Pfützen warfen. K1 klammerte sich an meiner Hand fest. In der U-Bahnstation tickte die SOS-Station kurz. „Was ist das?“ Ich sprach beruhigend auf ihn ein, versuchte alles zu erklären, ich dachte, zu viele Eindrücke. Wir nahmen die nächste Bahn zum Hauptbahnhof, stiegen dort um. Und schlagartig wurde er ruhiger, sicherer.
Am nächsten Tag, ganz beiläufig in einem ganz anderen Zusammenhang dann die Erklärung. „Klingt wie eine Bombe. Wir waren ja gestern auch in so einem Haus mit Bombe.“
Wir waren was und wo?
Mir sträubten sich alle Nackenhaare.
Rückblick: Anfang November kam der Große tränenüberströmt zu mir in die Küche. Im Streit mit seinem Bruder um eine CD hatte er aus Frust das Radio angeschaltet. Just in diesem Moment kam die Nachricht, in Nigeria sei in einer Schule eine Bombe explodiert, Schüler seien getötet worden, überall Blut.
Das hat ihn damals zutiefst erschüttert. Eine Schule, ein sicher geglaubter Ort. Warum mussten Schüler sterben? Es hat an jenem Abend lange gedauert, bis ich ihn beruhigen konnte. Und dann stehen wir knapp zwei Monate später vor einer Universität, einem Ort des Lernens, an dem viele zusammen treffen. Ein Zusammenhang, auf den ich so nie gekommen wäre. Viele Menschen, draußen knallt es, in der U-Bahn tickt es. Was muss er für eine Angst gehabt haben.
Angst ist nichts Fassbares, Logisches. Angst ist nichts Schlimmes, nichts, dass man verdrängen muss. Manchmal ist sie wichtig, macht sie einen doch vorsichtiger. Aber sie darf nicht lähmen. Ich möchte meine Kinder behüten, beschützen, bewahren. Aber ich möchte auch, dass sie die Welt neugierig und offen erkunden. Und da ist sie wieder, die Gratwanderung, die mich seit nun bald sieben Jahren beschäftigt: Das richtige Maß zwischen beschützen und los lassen.
Ich denke, ich kann nur eines für meine Kinder tun: Sie ernst nehmen und bestärken. In ihren Interessen, ihrer Neugier, ihrem Selbstbewusstsein. Sie stark machen. Sie in den Arm nehmen, sie laufen lassen. Der schwierigste Job, den ich je hatte. Und die größte Herausforderung.